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Gendern und Gesellschaft

Die Erfindung der Diskriminierung und ihre Bekämpfung durch die Gendersprache

Veröffentlicht am 11. 11. 2023, aktualisiert am 6. 2. 2024.

Ich gebe zu: Der Titel klingt provokativ und das soll er auch. Und er ist nicht ganz präzise. Erfunden wurde natürlich nicht die Diskriminierung als solche, gemeint ist die sprachliche Diskriminierung, und zwar die der deutschen Sprache, aber auch anderer Sprachen, soweit sie das generische Maskulinum betrifft.

Dazu folgender Satz: „Es gibt männliche Sänger und weibliche Sängerinnen.“ Der Satz irritiert, hoffentlich. Weibliche Sängerinnen? Wozu das Adjektiv „weiblich“, alle Sängerinnen sind doch weiblich. Sie haben natürlich Recht. Aber warum irritiert „männliche Sänger“ nicht genauso?

Weil offenbar Sänger NICHT ausschließlich männlich sind, weil es auch weibliche Sänger gibt, niemals aber „männliche Sängerinnen“, wie auch folgende Sätze verdeutlichen: „Unter den Sängern befanden sich viele Frauen“ versus „Unter den Sängerinnen befanden sich viele Männer“. „Sänger“ ist also nicht einfach das männliche Pendant zu „Sängerinnen“, sondern offenbar und intuitiv nachvollziehbar, etwas qualitativ anderes.

Blicken wir kurz zurück. Seit den 80er Jahren behauptet Luise F. Pusch, eine der Vordenkerinnen der feministischen Linguistik, Deutsch sei eine Männersprache, die nach Ansicht einer ihrer Mitstreiterinnen, Senta Trömel-Plötz, in eine Frauensprache umgewandelt werden müsse. Frau Pusch sagt, die deutsche Sprache sei ungerecht, da sie fast nur von Männern spreche, Frauen nur „mitmeine“, sie sprachlich „unsichtbar“ mache, dadurch die „patriarchalen Strukturen“ unserer Gesellschaft zementiere und damit maßgeblich zur Diskriminierung der Frauen beitrage. Diese Sprache müsse „saniert“ und „humanisiert“ werden.

Das begann in einer Zeit, in der tatsächlich Frauen viel weniger Rechte als Männer hatten. So hatte beispielsweise bis 1958 der Ehemann das Letztentscheidungsrecht in allen Eheangelegenheiten und sogar das Recht, ein Dienstverhältnis seiner Ehefrau fristlos zu kündigen. Auch war erst ab 1972 eine Rentenversicherung für Frauen möglich. Diese und viele andere Beispiele zeigen, dass Diskriminierung der Frauen und auch Anderer in beruflichen wie privaten Lebensbereichen vielfach existierte.

Auch die Sprache reflektierte diese gesellschaftliche Wirklichkeit. So gab es im Deutschen viele Ausdrücke, die explizit Männer bezeichneten (meist als Berufsbezeichnungen) und für die es keine feminine Form gab, z. B. „Amtmann“, „Kaufmann“, „Hauptmann“, „Fachmann“, „Schutzmann“ etc., die also nur Männern vorbehalten waren. Im Fokus der feministischen Linguistik, die sich zum Ziel gesetzt hatte, das Deutsche zu „entmaskulinisieren“, stand aber insbesondere das generische Maskulinum, da gerade diese Form für die „Unsichtbarmachung“ der Frauen verantwortlich gemacht wurde. Bekannt ist dazu das folgende Beispiel von Luise Pusch.

In diesem Beispiel befinden sich 99 Sängerinnen auf einer Bühne. Ein Sänger tritt hinzu, und aus 99 Sängerinnen und einem Sänger werden schlagartig 100 Sänger. Die 99 Sängerinnen sind wegen eines einzigen Sängers (sprachlich) verschwunden und plötzlich zu „Sängern“ geworden, so das Beispiel.

Frau Pusch leitet daraus eine Diskriminierung der Frauen ab, hervorgerufen durch das generische Maskulinum (100 Sänger). 99 Frauen würden durch das Auftauchen eines einzigen Mannes sprachlich „unsichtbar“, wie das Beispiel beweisen würde.

Das Listige, Schlitzohrige und daher Unschöne an diesem Beispiel (und vielen anderen dieser Art) ist, dass die Argumentation vordergründig nachvollziehbar zu sein scheint, und darauf zielt es vermutlich auch ab. Doch handelt es sich dabei um eine Irreführung, die darin besteht, dass Frau Pusch hier die maskuline Form generisch gebraucht (100 Sänger) und gleichzeitig spezifisch interpretiert (männlich), wodurch der Leser auf eine falsche Fährte gelockt werden soll. Zur Erklärung dessen muss man sich die zugrundeliegenden und für das Verständnis wichtigen Kategorien „Genus“ und „Sexus“ etwas genauer anschauen:

Deutsch ist eine der vielen Genus-Sprachen, in der Substantive ein „Geschlecht“ haben. Auf den Begriff „Geschlecht“, unter dem die meisten wahrscheinlich das biologische Geschlecht verstehen, werde ich noch eingehen. Das Genus (Plural Genera) bezeichnet das sprachliche „Geschlecht“ eines Substantivs, z. B. „der Löffel“ (maskulines Genus), „die Gabel“ (feminines Genus), „das Messer“ (Genus Neutrum), auch an den Artikeln „der“, „die“, „das“ erkennbar.

In der unbelebten Natur sind diese Genera („Geschlechter“) unzweideutig und im Grunde unproblematisch, denn es ist offensichtlich, dass leblose oder abstrakte Dinge kein biologisches Geschlecht haben können. Offensichtlich ist aber auch, dass in der unbelebten Natur die Übersetzung von Genus mit „Geschlecht“ fragwürdig, wenn nicht unsinnig ist. Es ist evident, dass dieses „Geschlecht“ nichts Biologisches ist. Man kann mit Fug und Recht davon ausgehen, dass für die Etablierung der Gendersprache die Übersetzung von „Genus“ mit „Geschlecht“ maßgeblich beigetragen hat.

Ich halte es daher für dringend geboten, maskulines Genus und männliches Geschlecht (bzw. feminines Genus und weibliches Geschlecht) fein säuberlich auseinander zu halten. Tut man dies nicht, läuft man Gefahr, als wenig sprachlich interessierter Leser oder Hörer von der Genderlinguistik bereits an diesem Punkt auf das falsche Gleis geführt zu werden. Gerade von Gender-Befürwortern wird oft und möglicherweise bewusst von einem „männlichen“ (oder „weiblichen“) Genus gesprochen. Damit soll beim Empfänger der Botschaft eine unbewusste Gleichsetzung von „maskulin“ (Genus) und „männlich“ (biologisches Geschlecht) erzielt werden, oder sie wird zumindest in Kauf genommen. Wenn tatsächlich dahinter diese Absicht steht, dann ist es Propaganda vom Feinsten. Hier werden zwei grundverschiedene Kategorien, eine sprachliche und eine biologische, unzulässigerweise miteinander vermengt.

In der belebten Natur gibt es das biologische Geschlecht („Sexus“), insofern ist die Gleichsetzung von Genus und Sexus zumindest theoretisch denkbar. Doch wird diese Gleichsetzung auch realisiert? Dazu einige Beispiele: „der Hund“, „die Katze“, „das Pferd“. Ohne Zweifel finden sich bei jedem dieser Tiere jeweils beide biologischen Geschlechter und es ist offensichtlich, dass auch hier das Genus nicht mit dem biologischen Geschlecht gleichzusetzen ist, allein schon deshalb, weil dann ein Genus für zwei Geschlechter stehen würde. „Der Hund“ ist also eine generische (allgemeingültige) Form für einen weiblichen und/oder männlichen Hund, im Fall des Hunde-Beispiels ein generisches Maskulinum, auch geschlechtsneutrales Maskulinum genannt („der Wolf ist der Vorfahre des Hundes“ (enthält drei generische Maskulina)). „Die Katze“ wäre dementsprechend ein generisches oder geschlechtsneutrales Femininum und „das Pferd“ ein generisches oder geschlechtsneutrales Neutrum.

Eine Anmerkung zum Begriff generisches Maskulinum. Der Indologe Robert Zydenbos schlägt alternativ dazu den Begriff maskulines Generikum vor, auch, um den generischen Charakter zu betonen und zu verdeutlichen, dass es neben dem maskulinen noch weitere Generika im Deutschen gibt.

Es gibt natürlich auch Fälle, in denen Genus und Sexus korrelieren, z.B. „der Mann“, „die Frau“, „die Tochter“, „der Sohn“, „der Stier“, „die Kuh“, „der Hahn“, „die Henne“ etc. Da diese aber keine generischen Bezeichnungen sind, können sie in diesem Zusammenhang ignoriert werden.

Beim Menschen sind die Genus-Sexus-Beziehungen nicht grundsätzlich anders als bei den Tieren, warum auch. Aber genau das behauptet die feministische Linguistik im Kern. Nach ihrer Theorie besitzt ein „Bürger“ nicht nur ein maskulines Genus, nein, er hat auch ein (biologisch) männliches Geschlecht. Dies steht dem Konzept des generischen Maskulinums, das auch von Genderlinguisten für das Tierreich nicht angezweifelt wird, diametral entgegen. Während „der Hund“ für beide biologischen Geschlechter steht, soll „der Bürger“ nur für das männliche Geschlecht stehen. Dieser Logik folgend wäre auch „der Mensch“ ein Mann (genauer, eine männliche Person), „die (menschliche) Leiche“ eine tote Frau und „das Kind“ geschlechtslos. Hier zeigt sich die ganze Unlogik der genderlinguistischen Argumentation.

Besonders im Fokus steht das generische Maskulinum bei Funktionsbegriffen und Substantiven, die von einem („handelnden“) Verb abgeleitet sind (Nomina Agentis). Der „Mieter“ (als Wort) entsteht durch Substantivierung des Verbs „mieten“, indem an den Wortstamm „miet“ das Suffix (Endung) „er“ angehängt wird. Damit wird eine Person (keineswegs ein Mann!) beschrieben, die die vom Verb beschriebene Handlung ausübt. Durch eine solche Suffigierung ist über das biologische Geschlecht des so entstandenen „Mieters“ noch keine Aussage getroffen worden. Wäre es anders, wäre also der „Mieter“ ein Mann, wäre auch ein „Rechner“ oder ein „Wecker“ ein Mann, denn der beschriebene Wortbildungsprozess ist in der belebten und in der unbelebten Natur der gleiche. Auch das Wort „Säugling“ ist durch eine Suffigierung entstanden, nämlich mit „ling“. Niemand wird behaupten, dass dadurch eine Aussage zum biologischen Geschlecht des Säuglings getroffen worden wäre, obwohl auch er ein maskulines Genus besitzt.

Suffigierungen sind aber nicht nur bei Verben, sondern auch bei Substantiven möglich. Aus „Berlin“ und „er“ wird so „Berliner“. Der „Mieter“ wie der „Berliner“ oder der „Rechner“ sind daher Funktions- oder Herkunftsbezeichnungen, Oberbegriffe, unspezifische, abstrakte Allgemeinplätze, die (auch im Fall des „Mieters“ oder des „Berliners“) nichts mit einem biologischen Geschlecht der Betreffenden zu tun haben. Wäre es anders, müsste man nicht zwingend von „männlichen Mietern“ sprechen, wenn nur männliche Personen gemeint sind.

Natürlich KANN der Mieter auch ein Mann sein, z. B., wenn von Herrn Müller als „Mieter“ gesprochen wird. „Mieter“ kann also beides sein: allgemeiner Mieter unbekannten oder ungenannten Geschlechts (generisches oder genderneutrales Maskulinum) oder männlicher Mieter (spezifisches Maskulinum). Welches vorliegt, ergibt sich aus dem Kontext des Satzes: „Der Mieter der Kellerwohnung ist der Bruder von Frau Schmidt“ versus „Jeder Mieter muss mit einer Mieterhöhung rechnen“. Wir können bei der Unterscheidung, ob die maskuline Form generisch oder spezifisch gebraucht ist, getrost unserem Sprachgefühl vertrauen, es hat uns nie im Stich gelassen – zumindest nicht bevor die feministische Linguistik ihre Thesen verbreitete.

Anders verhält es bei einem weiblichen Mieter. Eine „Mieterin“ (oder „Berlinerin“) als Wort entsteht durch Suffigierung der Grundform „Mieter“ (oder „Berliner“) mit „in“. Im Gegensatz zum „Mieter“ (oder „Berliner“) ist sie immer weiblich. Während der „Mieter“, sprachwissenschaftlich ausgedrückt, „unmarkiert“, genauer, sexus-unmarkiert ist, ist die „Mieterin“ sexus-markiert. Erst durch die Suffigierung mit einem für den weiblichen Sexus charakteristischen Suffix „in“ (oder „esse“, „iss“ oder „euse“, bzw. deren Pluralformen) entsteht aus dem geschlechtlich unspezifischen „Mieter“ eine geschlechtlich spezifische (weibliche) „Mieterin“.

Dieser Prozess der Movierung, bei dem die maskuline Form in eine feminine gewandelt wird, hat eine spezifizierende und daher eingrenzende Funktion. Es verwendet ein zusätzliches Merkmal (weiblich), um eine dieses Merkmal tragende Untergruppe zu erzeugen und grenzt so den Personenkreis auf die weiblichen Mieter unter allen Mietern ein.

Wäre der „Mieter“, wie Genderlinguisten behaupten, immer sexus-markiert (also männlich), sollte das weibliche Pendant eine „Mietin“ sein, ansonsten wäre eine „Mieterindoppelt sexus-markiert. Letzteres würde die Eingrenzung der männlichen Mieter auf die weiblichen Mieter bedeuten. Weibliche Mieter wären dann eine Untergruppe der männlichen Mieter, was schlichtweg unmöglich ist.

Nur weil der Mieter, anders als der Duden behauptet, NICHT nur männlich, sondern auch generisch sein kann, ergibt eine Moviering zu „Mieterin“ überhaupt einen Sinn. Sonst könnte man aus einem „Hengst“ auch eine „Hengstin“ ableiten. Hier offenbart sich der innere Widerspruch der genderlinguistischen Argumentation. Das Gegenteil ist richtig, denn diese Movierung zeigt ein sprachliches Grundprinzip: Die einfache, ökonomische Form, die Grundform, ist unmarkiert und beschreibt das Generelle, im Gegensatz dazu wird das Spezielle (markierte Form) durch erhöhte Komplexität der Wortbildung (z. B. Suffigierung) beschrieben. Wenn aber die „Mieterin“, woran auch Genderlinguisten nicht zweifeln, nur einfach sexus-markiert ist (weiblich), würde bei ihrer Wortbildung ein Sexuswechsel stattfinden, was dem linguistischem Grundprinzip widersprechen würde.

Daneben gibt es Sonderformen, die hier nicht verschwiegen werden sollen. So können bei der Movierung von maskulin zu feminin auch Suffixe ersetzt werden, z.B. Biologe → Biologin, Bote → Botin, Ire → Irin etc.
Bei maskulinen Endungen auf „erer“ (z. B. „Zauberer“) wird die letzte „er“-Silbe durch „in“ („Zauberin“) ersetzt, ursprünglich aus Gründer der Aussprache.
Auch die Movierung von feminin zu maskulin gibt es, sie ist aber selten (z. B. „Witwe“ → „Witwer“) und soll daher hier nur erwähnt werden.
Diese Formen entsprechen zwar nicht der Movierung bei den Nomina Agentis, sprechen aber nicht gegen die Gültigkeit des Grundprinzips.

So sahen, auch ohne linguistische Vorbildung, die Menschen in Vor-Gender-Zeiten die maskuline Form, nicht nur die Männer. „Mieter“, „Einwohner“, „Wähler“, „Lehrer“, „Schüler“, „Bürger“ oder andere Begriffe (meist im Plural) wurden selbstverständlich generisch verstanden, keine Frau (von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen) kam auf die Idee, dass sie damit nicht gemeint sein könnte. Das Konzept des „Nur-mitgemeint-seins“ gab es noch nicht. Daher fühlten sich Frauen durch das generische Maskulinum auch nicht diskriminiert. Waren sie vielleicht damals nur zu dumm oder zu naiv, ihre „Diskriminierung“ zu erkennen oder haben sie, ihrem natürlichen Sprachgefühl vertrauend, das generische Maskulinum einfach nur richtig interpretiert?

Doch dann traten die Vertreterinnen der Genderlinguistik auf den Plan. Sie „klärten die Frauen darüber auf“, was diese jahrhundertelang „nicht wussten“. „Ihr seid nur mitgemeint“, redeten Luise F. Pusch und andere ihnen ein. Es war die Zeit, in der die amerikanische feministische Philosophin Judith Butler ihre bizarren Gendertheorien entwarf, der „Gender-Pabst“ John Money einige Jahre zuvor im Sinne seiner Theorien eine Geschlechtsumwandlung an einem Jugendlichen empfahl, die später in dessen Selbstmord endete, und der Feminismus richtig in Fahrt kam. Die Zeit war günstig, um das generische Maskulinum zu verteufeln.

Dazu diente auch obiges Beispiel von Frau Pusch. Sie suggerierte damit, dass die 99 Sängerinnen durch das Auftreten eines einzelnen zusätzlichen Sängers (als Mann zu verstehen) verschwunden seien. Falsch! Sie sind natürlich nicht verschwunden, oder gar zu dem einen Mann in die „Männer-Schublade“ gesteckt worden, wie sie sich ausdrückt. Sie waren auch ohne den hinzugekommenen Mann bereits „Sänger“, da die Untergruppe „Sängerinnen“ Teil der Obergruppe „Sänger“ ist.

Anders formuliert, die 99 Sängerinnen und der einzelne Sänger(-Mann) sind lediglich wieder auf einen Funktionsbegriff geringerer Komplexität reduziert worden, einfach, um das Verbindende, Gemeinsame (das Singen) zwischen den 99 Frauen und dem einen Mann darstellen zu können.

Ein analoges Beispiel liefert Robert Zydenbos, bei dem er ohne das aufgeladene Merkmal Geschlecht auskommt, das aber hervorragend den prinzipiellen Vorgang verdeutlicht. Er verwendet das Wort „Büchlein“, das durch Suffigierung mit der Verkleinerungs-Endung „lein“ entsteht und ein kleines Buch bezeichnet. In dem Beispiel stellt er sich einen Haufen von 99 Büchlein vor. Legt man jetzt ein großes Buch dazu, sind das jetzt nicht 100 Büchlein, sondern 100 Bücher, denn auch Büchlein sind Bücher. Niemand käme auf die Idee, dass durch das Hinzufügen eines (größeren) Buches die 99 Büchlein verschwunden oder unsichtbar wären.

Wenn man aber die maskuline Form, wie Frau Pusch es tut, nicht generisch, sondern nur pseudogenerisch versteht, wenn man also Genus und Sexus gleichsetzt und demzufolge Sänger immer Männer wären, dann hätten die 100 Sänger neben dem maskulinen Genus (das sich im Plural gar nicht zeigt) tatsächlich auch ein biologisch männliches Geschlecht. Da das nicht der Fall ist, liefert sie mit ihrem Beispiel selbst den Beweis dafür, dass die 100 „Sänger“ nur generisch verstanden werden können.

Was sie also in Wirklichkeit beklagt, ist nicht die mögliche Generizität (Allgemeingültigkeit) der maskulinen Form, denn die ergibt sich in diesem Beispiel, wie gezeigt, zwangsläufig. Sie beklagt im Grunde, dass für Frauen ein Ausdruck verwendet wird, der ein maskulines Genus besitzt (welches aus ihrer Sicht Männlichkeit anzeigt), weshalb sie auch das generische Femininum befürwortet. Dann aber wäre „der Mensch“ (maskulines Genus) tatsächlich ein Mann und nur ein Mann. Frauen könnten folglich nicht zu den Menschen gezählt werden. Das wäre dann der Gipfel der Diskriminierung, resultierend aus der Logik von Luise Pusch. Seien wir also froh, dass wir ein generisches Maskulinum haben, etwas Inklusiveres und sprachlich Ökonomischeres gibt es nicht.

Ich betrachte daher das Bild, das die Linguistin Pusch offensichtlich wider besseres Wissen und vermutlich aus Männerhass oder mindestens Verachtung von Männern vermitteln möchte, dass also die 99 bemitleidenswerten Frauen ungefragt und ohne sich dem widersetzen zu können zu dem einen, zahlenmäßig geradezu unbedeutenden Mann in die „Männer-Schublade“ gesteckt worden wären, als ein Zerrbild, als bewusste Täuschung, um Mitstreiterinnen für ihre Ziele zu finden. Die manipulative Vorgehensweise aber zeigt etwas anderes:

Die (sprachliche) Diskriminierung der Frauen wurde nicht entdeckt oder aufgedeckt, nein, sie wurde erfunden! Und da sie nun einmal in der Welt war, war auch der Boden bereitet für die Aussaat der Gendersprache.

Allmählich verbreitete sich das Virus des „Nur-mitgemeint-seins“ weiter, immer mehr Frauen ließen sich infizieren und stimmten mit ein: „Was? – Wir sind nur ‚mitgemeint‘? Unerhört!“ Obiges Beispiel und ähnliche trugen nachhaltig dazu bei. Jetzt lautete der Leitspruch vieler Frauen: „Wir wollen sprachlich auch zu Wort kommen, wir wollen extra genannt werden.“ Wenn demzufolge „Bürger“ auf einmal nicht mehr männlich, weiblich oder divers, sondern nur noch männlich sind, dann verlangt doch bereits die Gleichbehandlung und der Respekt gegenüber Frauen, dass nicht nur die „Bürger“ (angeblich nur Männer), sondern auch die „Bürgerinnen“ genannt werden, so die genderlinguistische Schlussfolgerung.

Hinzu kamen die Thesen von Edward Sapir (Ethnologe und Linguist) und seinem Schüler Benjamin Lee Whorf (Chemieingenieur und Versicherungsangestellter) aus den 1950er Jahren, die posthum zur Sapir-Whorf-Hypothese zusammengefasst wurden. Die radikale Auslegung dieser Hypothese besagt, dass Sprache unser Denken und die Wahrnehmung unserer Wirklichkeit nicht nur beeinflusst, sondern steuert. Diese These, nicht nur in ihrer radikalen Auslegung, ist heute hochumstritten und in wesentlichen Punkten widerlegt (a, b). Trotzdem diente sie nicht nur damals als Begründung, auch heute ist in fast jedem öffentlichen Leitfaden für den Gebrauch der Gendersprache sinngemäß zu lesen: „… weil Sprache Wirklichkeit schafft.“

Somit war die Gendersprache geboren. Endlich gab es ein Mittel, der erfundenen sprachlichen Diskriminierung der Frauen (und Anderer) durch die „wirklichkeitsschaffende“ Macht der Sprache etwas entgegenzusetzen. Die Erzählung ist zu schön, um wahr zu sein, denn es ist umgekehrt: Sprache passt sich der Wirklichkeit an, nicht die Wirklichkeit der Sprache. Ungeachtet dessen ist ein großer und immer größer werdender Teil der Gesellschaft der Genderlinguistik auf den Leim gegangen und verbreitet bewusst oder unbewusst und unreflektiert nach wie vor und mehr denn je das Narrativ der „unsichtbaren“ Frau. Luise Pusch hat ihr Ziel erreicht. Das (sprachliche) Diskriminierungs-Phantom soll nun mit der Gender-Mystik ausgetrieben werden.

Dabei könnten wir es doch so einfach haben. Wir müssten nur das generische Maskulinum wieder als das sehen, was es ist und immer war: eine allgemeingültige, Funktions- und Sammelbezeichnung ohne Geschlechtsbezug. Aus Gründen der Sprachökonomie schaffen es nicht einmal orthodoxe Gendersprecher, völlig ohne das generische Maskulinum auszukommen, warum wohl, weil es perfekt in unsere Sprache passt und damit unverzichtbar ist. Gerade seine alle integrierende und niemanden ausschließende Funktion ist es, was heute nötiger ist denn je. Wir müssen ihm nur diese Rolle wieder zukommen lassen, uns von der Genderideologie freimachen und unserem natürlichen Sprachgefühl vertrauen.

Und wieder selbst denken und nicht jedes Gender-Narrativ nachplappern. Dann wird die Gendersprache schneller wieder verschwinden, als sie gekommen ist, und wir wären einem gesellschaftlichen Frieden ein Stück näher.

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