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Gendern und Gesellschaft

Veröffentlicht am 12. 12. 2021, aktualisiert am 28. 10. 2024.

Über das Für und Wider von Gender-Deutsch wird nicht nur in den deutschsprachigen Gesellschaften sehr engagiert diskutiert, auch ich nehme mich davon nicht aus. Das liegt u.a. auch daran, dass man sich dem Thema kaum entziehen kann. Man hört oder liest „Gender“ täglich, ob man will oder nicht.

Während Befürworter frohlocken und sich über den zunehmenden Gender-Sprachgebrauch freuen, verzweifeln genau daran die, die die Gender-Sprache ablehnen. Es haben sich zwei Lager gebildet, zwischen denen eine friedliche Koexistenz nicht möglich sein kann, da beide in der selben Sprachgemeinschaft leben.

Auf der einen Seite stehen diejenigen, die in der Veränderung der Sprache DEN entscheidenden Hebel sehen, um mehr Gleichberechtigung zu erreichen. Denen gegenüber stehen jene, die das Potential des Sprach-Hebels bezweifeln, dafür aber eine nachhaltige Schädigung der deutschen Sprache befürchten.

Dabei wird weniger rational, sondern moralisch oder emotional argumentiert – unterschiedliche Ebenen, die man klar trennen sollte. Auf das linguistische Argument der Gender-Gegner, zu denen die Mehrheit der Sprachwissenschaftler gehört, dass das generische Maskulinum ALLE meine, und damit auch alle „mitmeine“, Männer, Frauen und die Übrigen, antworten die Befürworter oft mit dem emotionalen Argument, sie FÜHLEN sich aber nicht mitgemeint. Mehr noch, diejenigen Frauen, die sich tatsächlich „mitgemeint“ fühlen, werden verteufelt, da sie der vermeintlich guten Sache in den Rücken fallen.

Bliebe es nur bei gegensätzlichen Standpunkten, könnte man es vielleicht dabei bewenden lassen. Aber dem ist nicht so: Wie weit die Universitäten ihren Studenten den Gebrauch der Gender-Sprache mit deutlichem Druck „nahelegen“, darauf habe ich bereits hingewiesen. Aber auch Privatunternehmen, denen es nicht um die Freiheit der Lehre geht, ziehen am gleichen Strang: Audi hat seinen Mitarbeitern mittlerweile auch die Gender-Sprache verordnet.

Aber auch dazu gibt es noch Steigerungsmöglichkeiten: Der Zeitschrift „Training aktuell“ des Bonner ManagerSeminare-Verlags hat die Autorin Sabine Mertens ein Interview gegeben, in dem sie aus Überzeugung auf Gender-Sprache verzichtet hat. Obwohl sie den Verlag mehrfach darauf hingewiesen hatte, bewusst keine Gender-Sprache in der Veröffentlichung zu verwenden und obwohl der Verlag ihr genau dies zugesichert hatte, wurde die Endfassung des Interviews in gegenderter Form abgedruckt. Was soll das anderes sein als selbstgefällige, arrogante, ideologisch motivierte Bevormundung? Die Folge ist nun eine Klage wegen Urheberrechtsverletzung.

Dieses und andere Beispiele zeigen eines:

Wenn es um die eigene Weltsicht geht, dann zählen weder das (Urheber-)Recht noch die Freiheit der anderen, ganz zu schweigen von der demokratischen Legitimation. Eine ideologisch verblendete Minderheit maßt sich an, dem Rest der Gesellschaft ihren Sprach-Stempel aufzudrücken. Ich nenne das Sprachdiktat. George Orwell lässt grüßen.

Trotzdem inszenieren sich Genderer gerne als die besseren Menschen, denn sie wissen, wie wirkungsvoll das Moral-Argument ist, wirkungsvoller jedenfalls als jedes rationale Argument. Es appelliert an das Gefühl, und genau deshalb wird es verwendet.

Dieser Argumentation zufolge ist ein Befürworter der Gender-Sprache fortschrittlich und liberal, will Frauen zu ihrem Recht verhelfen, steht also moralisch auf der richtigen Seite und gehört damit zu den Guten. Derjenige, der die Gender-Sprache ablehnt, ist folglich das Gegenteil davon, nämlich rückständig und intolerant, will die Vorherrschaft des „alten weißen Mannes“ nicht aufgeben und gehört deshalb zu den Bösen. Wer will da nicht zu den „Tugendhaften“ gehören.

Dazu die Aussage der ehemaligen Moderatorin der ZDF heute-Sendung, Petra Gerster: „Aber dann gibt es noch die Aktivisten unter den Gender-Gegnern – meistens ältere Herren, die mit dem generischen Maskulinum im Grunde ihre Vormachtstellung erhalten wollen. Da geht es ganz klar um Ideologie, um die Privilegien des „alten weißen Mannes“.“

Aha, diejenigen, die die Gender-Sprache ablehnen, DAS sind die ideologisch verbohrten, selbstverständlich, denn die anderen sind ja die „Guten“.

Ich musste beim Schreiben tief Luft holen, vielleicht ging es Ihnen beim Lesen auch so.

Nicht ohne Grund haben sich die Befürworter gendersensibler bzw. gendergerechter Sprache genau diese Begriffe einfallen lassen statt neutraler Ausdrücke wie genderbewusst, genderverändert, gendermodifiziert, genderkonform, oder genderadaptiert. Die Assoziation mit den positiv besetzten Ausdrücken sensibel bzw. gerecht soll suggerieren, dass es sich bei dieser „Sprache“ um etwas Gutes, Fortschrittliches und Erstrebenswertes handelt, dem sich niemand ohne schlechtes Gefühl widersetzen könne.

Treffender wird die Realität der heutigen „Gender-Sprache“ aber durch Adjektive wie gendermanipuliert, genderverordnet, genderdominiert, genderbelastet oder genderdurchsetzt wiedergegeben.

Beide Geschlechter zu nennen, sei ja schließlich höflich, heißt es an einer Stelle. Daran lässt sich das Prinzip der „Moral-Strategie“ erkennen: Man kapert sich ein positiv besetztes Attribut („höflich“) und der Gegenseite bleibt nur das negativ besetzte Gegenstück. Wer nicht gendert, ist ein „alter, weißer Mann“ dem idealerweise eine „junge, farbige Frau“ entgegengestellt wird, die, wie nicht anders zu erwarten ist, selbstverständlich gendert. Ohne es zu merken, fallen viele auf diese raffinierte Methode herein.

Zudem werden Pro- und Contra-Vertreter unterschiedlichen politischen Lagern zugerechnet, wie weit das berechtigt ist, sei dahin gestellt. Als Gender-Verweigerer wird man fast immer in die rechte, fast schon extrem rechte Schublade gesteckt. Wäre diese Kategorisierung berechtigt, würde die Mehrheit der deutschen Bevölkerung, die nachweislich die Gender-Sprache ablehnt, auch dort zu verorten sein. Dem widersprechen die Ergebnisse der letzten Bundestagswahl.

Kritik an der Gendersprache bewertet, wie erwähnt, der Sprachforscher und Befürworter der Gendersprache Henning Lobin dennoch wie folgt: „Eine neurechte Agenda wird durch Sprachpolitik wie mit einem trojanischen Pferd weit in die Mitte der Gesellschaft hineingeführt“. Dass die extreme Rechte mittels der Kritik an der Gendersprache ihre eigenen Ziele verfolgt, will ich nicht bestreiten. Das gilt für viele Befürworter der Gendersprache allerdings auch. Daher ist obige Aussage nach Austausch eines kleinen Wortteils mindestens genauso zutreffend: Eine neulinke Agenda wird durch Sprachpolitik wie mit einem trojanischen Pferd weit in die Mitte der Gesellschaft hineingeführt.

Die Stigmatisierung der Gender-Gegner als rechtslastig zeigt Wirkung: In diese Ecke will sich keiner (außer z.B. AfD-Anhänger) stellen lassen, schon gar nicht ein Politiker. Dann doch sicherheitshalber gendern, das kommt meistens gut an. „Politisch korrekt“ zu sein ist wichtiger denn je. Sonst droht der Sexismus-Vorwurf und die „Cancel Culture“ übernimmt den Rest, nämlich die soziale Ächtung.

Aber die Fronten verlaufen nicht nur zwischen Gegnern und Befürwortern der Gender-Sprache, unabhängig vom Geschlecht der betreffenden Personen, sondern zunehmend auch zwischen den Geschlechtern selbst. Dem permanenten Hinweis auf das Geschlecht der Handelnden ist man ständig ausgeliefert. Das führt dazu, dass die Gesellschaft sich immer weniger als eine Gruppe von Menschen mit mehr oder weniger unterschiedlichen Bedürfnissen und Eigenschaften versteht, sondern zunehmend als zwei aus Frauen und Männern bestehenden Interessengruppen mit gegensätzlichen Interessen, schlimmstenfalls als Frauen, die Männer hassen und Männer, die Frauen hassen, die Männer hassen. Vielleicht stehen wir schon näher an diesem gesellschaftlichen Abgrund als wir ahnen.

Die Betonung des Unterschiedlichen, heute heißt das Vielfalt, scheint jedenfalls wichtiger zu sein als die Bewahrung des Gemeinsamen, des Verbindenden. Die Sprache gehört jetzt schon nicht mehr zu Letzterem. Wir halten nichts zusammen, sondern wir trennen. Aus „wir“ wurden Frauen und Männer und und und. Was fehlt, sind noch die entsprechenden „Duden“: Der Duden für die Männer, die Dudin für die Frauen, das Duda für den Rest.

Gegen die Verwendung der Gendersprache hat sich auch der Verein Deutsches Netzwerk Schulverpflegung e.V. (DNSV) entschieden. Der DNSV schreibt auf seiner Internetseite (Stand: 22. 2. 2022): „Als DNSV lehnen wir Benachteiligung aufgrund von Sexismus, Homophobie etc. strikt ab. Dennoch haben wir uns bewusst gegen das Gendern in unseren Web-Texten entschieden. Wörter wie Kund/innen, Verbraucherinnen, Schülerinnen, Besucherjnnen, Mitarbeiterinnen und die Formulierung Mitglieder und Mitgliederinnen behindern in erster Linie den Lesefluss, verlängern den Text unnötig und lenken von den Inhalten ab. Dazu kommt, dass diese Zeichen den Unterschied zwischen den Geschlechtern eher betonen, als ihn auszugleichen. Darüber hinaus sollen diese Zeichen angeblich das diverse Geschlecht einbeziehen. Sie bewirken jedoch genau das Gegenteil, nämlich die Zweigeschlechtigkeit hervorzuheben. Wir hoffen auf Ihr Verständnis für unserem Umgang damit.“

Ich möchte an dieser Stelle Martin Ebel im Züricher Tagesanzeiger zitieren: „Mit Sprachgefühl hat das Gefühl, nicht mitgemeint zu sein, wenig zu tun. Dahinter steht eine politisch-ideologische Motivation, die unbestritten immer noch bestehende Benachteiligung von Frauen wenigstens sprachlich zu beheben. Eine Ersatzhandlung. Auf Kosten der grammatischen Korrektheit, der Eleganz, der Freiheit des Ausdrucks. Nicht zuletzt transportiert die Genderbewegung ein Weltbild, in dem die Menschheit immer und grundsätzlich in Männer und Frauen zerfällt. Eine gespaltene Welt.“

Ein Gedankenexperiment: Würde man statt einer „gender“gerechten Anrede eine „hautfarben“gerechte Anrede wählen, könnte diese so lauten: „Liebe weiße und liebe farbige Menschen“. Diese würde statt des Gemeinsamen das Unterschiedliche betonen und würde zu Recht rassistisch verstanden werden. Mit der gleichen Begründung ist die Gender-Sprache sexistisch zu verstehen. Zu diesem Aspekt möchte ich Ihnen einen Artikel der Schriftstellerin Nele Pollatschek wärmstens empfehlen.

Auf diese Weise ist Sprache nicht nur das Vehikel zum Transport der Botschaft, nein, Sprache selbst ist die Botschaft. Man muss sich schon entscheiden, ob man z.B. von einer „Studenten“-WG sprechen will oder einer „Studierenden“-WG. Die Wortwahl ist zu einem politischen Bekenntnis geworden (vergleichbar damit, dass man in den 60er-,70er-Jahren die politische Orientierung daran ablesen konnte, ob man von der „Bundesrepublik Deutschland“ oder von der „BRD“ sprach). Gendern zeigt, wo du politisch stehst, also überlege dir gut, ob du bei dieser „guten Sache“ nicht mitmachen willst! Einer Entscheidung über die Wortwahl kann sich niemand entziehen.

Wer diese Entscheidung nicht bewusst trifft, der trifft sie unbewusst. Wer in öffentlich zugängigen Medien, Schulen, Hochschulen oder anderen öffentlichen Einrichtungen unentwegt „Schülerinnen und Schüler“, „Lehrer[‚Glottisschlag‘]innen“ oder „Studierende“ hört, der wird diese Sprache allmählich auch für sich selbst übernehmen. Wenn immer mehr so sprechen, muss das so wohl richtig sein.

Darauf setzen die Gender-Sprachaktivisten, und ich fürchte, so wird es auch kommen. Noch ist die Gender-Sprache nicht demokratisch legitimiert, und dennoch ist sie auf dem Vormarsch. Wenn durch den beschriebenen Gewöhnungseffekt die ersten Contra-Mehrheiten bröckeln, dann verkehrt sich auch das Legitimations-Argument ins Gegenteil, dann sind wir jenseits des Kipppunktes und dann dürfte kein Halten mehr sein.

Was könnte man dagegen tun?

Die Gendersprache selbst nicht gebrauchen – das versteht sich von selbst. Das allein ist aber als politisches Statement zu wenig. Es könnte fälschlicherweise nur als Nachlässigkeit oder Desinteresse gedeutet werden. Besser wäre es, den Gebrauch des generischen Maskulinums als bewusste Entscheidung zu verdeutlichen, bloß wie? Hier finden Sie ein paar Anregungen.

Ich kann nur an die Verantwortung jedes Einzelnen appellieren, sich zu fragen, ob er beim unreflektierten Nachplappern mitmachen will, oder ob das etwas mühsamere „Selbst-Denken“ nicht vielleicht doch die bessere Option ist.

Besonders appelliere ich an die Verantwortung derjenigen, die die Gender-Sprache aktiv verbreiten, vom Deutschlehrer angefangen bis zum Fernsehmoderator.

Und an die Verantwortlichen in der Politik. Wenn Sie, verehrter Politiker, von der Gendersprache überzeugt sind, dann werden Sie glücklich damit. Sollten Sie es aber nicht sein und Sie nur deshalb so sprechen, weil Sie sich davon Wählerstimmen versprechen, dann tun Sie unserer Sprache einen Bärendienst.

Ich habe jedenfalls hiermit, hoffentlich hörbar genug, meinen Aufschrei kundgetan.

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