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Das „böse“ generische Maskulinum

Wie „böse“ ist das generische Maskulinum?

Veröffentlicht am 12. 12. 2021, aktualisiert am 24. 4. 2022.

Böse ist, wer Böses in böser Absicht tut. Insofern kann das generische Maskulinum nicht böse sein, höchstens derjenige, der es in böser Absicht verwendet. Trotzdem steht es massiv in der Kritik.

Viele scheinen seine Ablehnung schon so verinnerlicht zu haben, dass sie das generische Maskulinum scheuen wie der Teufel das Weihwasser. Anton Hofreiter, der frühere Fraktionsvorsitzende der Grünen, sprach von „weiblichen Freundinnen“ statt von „weiblichen Freunden“ (generisches Maskulinum) und die Deutschlandfunk-Moderatorin Sandra Schulz am 17.11.2021 im Interview mit der CDU-Politikerin Sabine Buder von „weiblichen Kolleginnen“ anstelle von „weiblichen Kollegen“ (dito). Statt das „böse“ generische Maskulinum in den Mund zu nehmen, nimmt man lieber einen Pleonasmus (z.B. „männlicher Kater“) in Kauf.

Der Grundgedanke der Kritiker des generischen Maskulinums ist die Annahme,
– dass diese maskuline Form vorwiegend Assoziationen mit männlichen Personen hervorruft,
– demzufolge Frauen nicht mitgenannt, sondern nur mitgemeint, aber nicht mitgedacht würden. Sie blieben daher „unsichtbar“.
– Daraus wird abgeleitet, dass die Chancengleichheit von Frauen untergraben werde,
– woraus dann folge, dass das generische Maskulinum, da in seiner Wirkung doch ein „bisschen böse“, abzuschaffen sei.

Lassen Sie mich auf einzelne Punkte eingehen, zunächst die Grundannahme:
Dass das Nennen eines Substantivs in seiner männlichen Form bei den meisten Menschen vorwiegend männliche Vertreter assoziiert, belegen angeblich wissenschaftliche Studien. Ich möchte dazu ein kleines Experiment mit Ihnen machen:

Woran denken Sie bei nachfolgenden Sätzen: (vorwiegend an Männer, Frauen oder beide?)

„Die Inflation macht den Sparer zum Verlierer“,
„Bezieher kleinerer Renten könnte Altersarmut drohen“,
„Unter der Krise der Filmbranche leiden besonders die Schauspieler“,
„Jeder tauscht den Platz mit seinem Sitznachbarn“,
„Der Gegner der deutschen Frauen-Nationalmannschaft ist Schweden“,
„Ich bin froh, dass ich (kein) Lehrer geworden bin“.

Natürlich weiß ich nicht, voran Sie dabei denken und Sie werden es mir auch nicht mitteilen, aber Sie denken vermutlich sowohl an Männer als auch an Frauen. Je nach Aussage mögen es mehr Männer oder Frauen sein, abhängig von Ihrer persönlichen Lebenserfahrung, oder nur Frauen, wie in Aussage 5, obwohl das generische Maskulinum und nicht die weibliche Form „Gegnerin“ verwendet wurde. Als Frau würden Sie wahrscheinlich auch den letzten Satz für sich bejahen oder verneinen und nicht sagen, er träfe auf Sie als Frau ja nicht zu.

Jetzt möchte ich Sie fragen, woran Sie bei den nächsten Sätzen denken (wieder Männer, Frauen oder beide):

„Wer ist Ihr Lieblingsschauspieler?“,
„Pilot ist ein toller Beruf“,
„Wer ist der Mitarbeiter des Jahres?“,
„Die Anhänger der beiden Fußballclubs gingen nach Spielende aufeinander los“,
„Die Kirchenvertreter äußerten sich vor der Presse“.

Ich glaube, Ihre Antwort zu kennen: Die Männer dürften in der Überzahl sein. Was also beweisen diese Assoziationsstudien? Mit ihnen kann man sowohl die integrative Funktion des generischen Maskulinums beweisen, bei der eine allgemeingültige, geschlechtsunabhängige Aussage getroffen wird, als auch ihr Gegenteil, nämlich einen gedanklichen Überhang des männlichen Geschlechts gegenüber dem weiblichen, je nach Fragestellung.

Ein gegendertes „Gegenbeispiel“: Woran denken Sie bei folgendem Satz:
Nach dem Überfall wurden mehrere „Tatverdächtige“ festgenommen.

An Männer? Warum eigentlich? „Tatverdächtige“ ist doch einer der vollkommen genderneutralen Begriffe, die gewählt werden, um dem angeblichen gedanklichen Überhang von Männern etwas entgegenzusetzen. Sind also dadurch weniger Männer, dafür aber mehr Frauen „sichtbar“ geworden? Nein. Dass Sie bei diesem Beispiel wahrscheinlich hauptsächlich an Männer denken, beruht auf Ihrer Lebenserfahrung aber liegt nicht an der Sprache, schon gar nicht am generischen Maskulinum. Dieses Beispiel wurde einem Kommentar von Wolfram Metz auf www.sprachforschung.org entnommen.

Sind also die Frauen im deutschen Sprachraum wegen des generischen Maskulinums „unsichtbar“? Diejenigen, die das bejahen, vertreten die These, das generische Maskulinum nenne (und meine) nur den Mann, ist also „böse“, denn die Frauen seien nur „mitgemeint“.

Dazu sind folgende Aspekte wichtig:

1. Verwendung des generischen Maskulinums

Das Maskulinum kann in generischer/allgemeingültiger und in spezifischer Funktion eingesetzt werden. In der spezifischen Funktion meint es tatsächlich nur die Männer, nämlich dann, wenn der allgemeingültige Ausdruck spezifiziert wird („Herr Schmidt ist vermutlich ein CDU-Wähler“). In der generischen Funktion „Jeder Wähler hat nur eine Stimme“ sind alle Wähler angesprochen, keinesfalls nur die männlichen. Wer weiß denn schon oder will es überhaupt wissen, welcher Wähler welches Geschlecht hat. Darauf kommt es auch gar nicht an. Die Kernaussage ist, dass kein Wähler, unabhängig von seinem biologischen Geschlecht, mehr als eine Stimme hat. Der Satzzusammenhang entscheidet, ob das Maskulinum spezifisch oder generisch eingesetzt und auch so verstanden wird. Wenn man in Studien das generische Maskulinum im falschen Kontext an Probanden testet, kann man selbstverständlich die Ergebnisse erzielen, die man sich wünscht.

2. Verwendete Begriffe im Test

Zwei Aussagen: „Pilot ist ein schöner Beruf“ und „Ich muss dringend zum Friseur“.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich denke bei „Pilot“ vorwiegend an Männer, bei „Friseur“ hauptsächlich an Frauen. Ist das jetzt auf das generische Maskulinum zurückzuführen oder spiegelt das nur die Lebenswirklichkeit wieder, wie ich sie kenne? Die Erfahrungen der Leser dieser Zeilen mögen ganz andere sein als die meinen. Aber hier entscheidet wiederum das eigene Erlebte (das Sein) was bei den verwendeten Begriffen assoziiert wird (Bewusstsein).

3. Beidnennungen

Mittlerweile werden, um das generische Maskulinum zu umgehen, immer häufiger beide biologischen Geschlechter genannt („Bürgerinnen und Bürger“). Diesem Thema habe ich an anderer Stelle einen eigenen Artikel gewidmet. Würde man die Tests, auf die sich die Kritiker des generischen Maskulinums berufen, heute wiederholen, würde der Anteil der Testpersonen, die bei dem mit dem maskulinen Genus verbundenem Substantiv (z.B. „Bürger“) an Männer denken, wahrscheinlich höher liegen als in den mehrere Jahre zurückliegenden Tests. Das ist auch nicht verwunderlich. Der „Bürger“ in „Bürgerinnen und Bürger“ bekommt automatisch eine andere Bedeutung (nämlich biologisch männlich) als der „Bürger“ aus den Zeiten, in denen die Beidnennung nicht gebräuchlich war (unbestimmtes Geschlecht). Die Wortbedeutung ändert sich durch den bewusst veränderten Sprachgebrauch. Wer nun diese Ergebniswerte dem generischen Maskulinum in die Schuhe schieben will, der argumentiert unredlich.

Macht das generische Maskulinum die Frauen nun „unsichtbar“?

Wird es in der ihm ursprünglich zugedachten, ALLE meinenden Rolle eingesetzt, definitiv nicht. Durch den Einsatz unlauterer (s. oben), fast schon hinterlistiger Tricks soll ihm diese Rolle aber unterstellt werden. Man sollte sich vielmehr die Frage stellen, wie „böse“ es denn ist, diejenigen, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen, in den Beidnennungen vollständig zu unterschlagen. Diese Personen sind dabei tatsächlich „unsichtbar“. Im Gegensatz dazu ist das alle meinende generische Maskulinum ein inklusives, also ein „gutes“. Mehr kann man wirklich nicht von ihm wollen.

Die Engländer sind übrigens den umgekehrten Weg gegangen: Sie haben die Beidnennung abgeschaft zugunsten der maskulinen Form und können beispielsweise nicht verstehen, dass wir Angela Merkel als BundeskanzlerIN bezeichnen. In einem Artikel der Schriftstellerin Nele Pollatschek, die sich im übrigen selbst als Schriftsteller (!) bezeichnet, heißt es (Zitat):

„Ich habe mich mit dem deutschen Gendern noch nie wohl gefühlt, dass es sich dabei aber um ein logisches Problem des Genderns handelt, wurde mir erst klar, als ich in England promovierte und dort einen anderen Feminismus kennenlernte. Das erste Mal fiel es mir auf, als ein Professor mich fragte, ob wir in Deutschland Angela Merkel wirklich als „BundeskanzlerIN“ bezeichnen und ob denn die deutschen Feministen nichts dagegen täten“. […] und weiter:

„Was der Professor meinte, war schlichtweg dies: Tun die deutschen Feministen denn nichts dagegen, dass es unterschiedliche Wortformen für Männer und Frauen gibt, dass also Männer und Frauen sprachlich unterschiedlich behandelt werden?“ […]

„Wer aus meinem „Schriftsteller“ ein „Schriftstellerin“ macht, kann auch gleich „Vagina“!“[sic] rufen. Das hat den gleichen Informationswert, wäre aber komischer und aufrichtiger und mir deutlich lieber. Dass das deutsche Gendern britische Feministen befremdet, ist nicht überraschend. Denn während britische Nachrichten von Theresa May oder Margaret Thatcher einfach nur als ungeschlechtlichen Prime Minister sprachen, sind die Deutschen gezwungen, immer wenn wir von Dr. Merkel sprechen, auch auf die Form der regierenden Genitalien hinzuweisen.“

„Der einzige Weg heraus aus dem sprachlichen Dauerfrausein ist das Ausland, für mich war es Großbritannien. Denn der britische Feminismus hat auf das Problem der weiblichen Berufsbezeichnung das Gegenextrem gewählt. Der englische Gedanke ist schlichtweg dieser:

Der Weg zu Gleichheit ist Gleichheit. Wer will, dass Männer und Frauen gleich behandelt werden, der muss sie gleich behandeln und das heißt, sie gleich zu benennen.“ (Zitatende)

Ein fast schon versöhnlicher Gedanke findet sich in einen lesenswerten Artikel des österreichischen Autors und Gründer der PR-Agentur „Textbox“, Werner Schandor: Er stellt darin fest, dass der weibliche Artikel „die“ im Singular die weibliche Form einer Person bezeichnet („die Frau“), ebenso „die Schnellste“, „die Beste“. „Die“ ist aber auch der Artikel für den Plural („die Wähler“), wobei nicht nur den weiblichen, sondern auch den männlichen Wählern ein „die“ zugeordnet wird.

Dazu schreibt Herr Schandor: „Das weibliche „die“ kennzeichnet zum Beispiel auch die Mehrzahl von „die Ärzte“. Wie kann es sein, dass den feministischen Linguistinnen, die dermaßen an den Sinnfeldern einzelner Silben kleben, entgangen ist, dass sich hier Weibliches und Männliches in perfekter Harmonie befindet? Bei einem so ausgewogenen Zusammenspiel von Männlichem und Weiblichem wie in „die Ärzte“ erblassen sogar Yin und Yang vor Neid. Aber es geht noch weiter, denn es heißt ja auch „die Männer“. Tritt hier nicht ein zutiefst matriarchaler Aspekt des Deutschen zutage? Müssten jetzt nicht alle „Maskulinisten“ wegen des weiblichen Artikelwortes aufbrüllen und sich sprachlich benachteiligt fühlen, gleich wie es die Feministen wegen der männlichen Endung im generischen Maskulinum tun? Sind „die“ Männer jetzt weiblich zu verstehen? – Antwort: Genau so wenig oder so sehr, wie „die Ärzte“ von sich aus nur als Männer zu denken sind.

Ich möchte eine Dame zu Wort kommen lassen, die folgende Aussage in einer Sendung eines österreichischen Rundfunksenders mit dem Autor, Lehrer und Literaturhistoriker Dr. Tomas Kubelik beigesteuert hat, als Reaktion auf ihr (dieser Dame) zugeschickten Schriftstücke in gegenderter Form. Sie sagte: „Ich fühle mich wirklich als Frau beleidigt, wie wenn ich nicht fähig wäre, mit aufzupassen und zu merken, dass der Text auch mir gilt, wenn ich nicht mit den ‚innen‘ […] angesprochen werde“. Ganz herzlichen Dank dieser Dame für ihren Beitrag.

Wer aber bewusst in dem generischen Maskulinum nur die (biologisch) männliche Form heraushören oder -lesen will, der hat seinen Blick durch ständiges Wiederholen dieser These bereits so verengt, dass er den Rückweg nicht mehr findet.

Dazu schreibt oben erwähnter Herr Schandor: „Ist man erst einmal auf die Betrachtungsweise konditioniert, die von der feministisch-chauvinistischen Sprachbetrachterin Luise F. Pusch in den 1980ern losgetreten wurde, nämlich dass man nur in der Form mit „-Innen“ auch die Frauen einer Berufsgruppe mitdenken kann, dann wird einem tatsächlich immer etwas abgehen, wenn man lediglich den (generischen) Plural Maskulinum hört – begleitendes weibliches Artikelwort „die“ hin oder her. Denn: An der Sprache bleiben Muster des (Miss-)Verstehens haften wie alter Kaugummi an der Schuhsohle.

4. Das oder der „Böse“?

Sollte es gar sein, dass nicht das generische Maskulinum „böse“ ist, sondern das biologische?

Ich zitiere die feministische Politikwissenschaftlerin und Journalistin Antje Schrupp, die sich zu einem Vorschlag der Linguistin Luise Pusch wie folgt äußerte: „Der Charme dabei wäre, dass die Diskussionen dann tatsächlich einmal sich um Männlichkeit drehen würden, die nämlich das eigentliche Problem darstellt (nicht nur bei diesem Thema, sondern meistens), anstatt dass immer über Weiblichkeit diskutiert wird, die ja sprachlich gesehen überhaupt nicht problematisch ist.“

Jetzt ist es heraus: Das „böse“ Männliche, die Wurzel allen Übels.

Mit Vertreterinnen dieser Ansicht ist jeder weitere Austausch linguistischer Argumente sinnlos.

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