Gender und Sammelbegriffe
Veröffentlicht am 12. 12. 2021, aktualisiert am 30. 10. 2023.
Das generische Maskulinum und das generische Femininum haben eines gemeinsam, sie stellen einen Sammelbegriff dar, d.h. eine Obergruppe für beide, oder besser, alle Geschlechter. Je nach Bedarf, den die zu treffende Aussage erfordert, wird eine in der Obergruppe enthaltene Untergruppe durch Spezifizierung herausgenommen und gesondert angesprochen. Weitere, in der Obergruppe enthaltene Untergruppen können bei Bedarf auf gleiche Weise herausgenommen werden, sofern es die zu treffende Aussage ihre gesonderte Herausnahme erfordert. Der grundsätzliche Vorteil dieser generischen Formen gegenüber der Beidnennung liegt darin, dass beide einen ökonomischen Sammelbegriff darstellen, der solange eingesetzt werden kann, solange die zu treffende Aussage nichts anderes erfordert. Praktische Sprachökonomie.
Im Gegensatz dazu setzt die Beid- bzw. Einzelnennung bewusst den Sammelbegriff außer Kraft, da sie die Geschlechter einzeln nennt. Wenn in einer Aussage alle gemeint werden, müssen bei der Einzelnennung zwangsläufig auch alle genannt werden. Dass die Beidnennung nur zwei von nach heutiger Gender-Theorie vielen möglichen Geschlechtern nennt, ist ein systemimmanentes Manko von Beid- bzw. Einzelnennung. Dem kann man grundsätzlich nur durch einen ALLE einschließenden Sammelbegriff begegnen (s.o.). Trotzdem wird Beidnennung von weiblichen und männlichen Geschlechtern auch als „mildes“ Sprachgendern bezeichnet, da Sonderzeichen enthaltende Formen vermieden werden.
Ich kann nur dringend von dieser Beidnennungs-Praxis abraten aus verschiedenen Gründen:
1) Der Sammelbegriff wird abgeschafft
Wie an anderer Stelle bereits erwähnt, führt die Beidnennung zu Bedeutungsveränderungen des Sammel- oder Oberbegriffs. Aus „Bürgern (m, f, x)“ (gener. Maskulinum) oder „Bürgerinnen (f, m, x)“ (gener. Femininum) werden „Bürger (m) und Bürgerinnen (f)“, wobei hier m für Sexus männlich, f für Sexus weiblich und x für weder weiblicher noch männlicher Sexus steht. Der Sammelbegriff wird nicht gebraucht. Ein Bürger ist nur noch männlich, ebenso ein Leser, Hörer, Schüler, Lehrer, Urlauber etc.
Ein kleines Beispiel aus jüngerer Zeit. Sie kennen den nachfolgen Hinweis auf Arzt oder Apotheker nach Medikamenten-Bewerbung, aber vielleicht nicht in dieser Form: „Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihre(n) Arzt/Ärztin oder Apotheker/Apothekerin.“ Diesen Testballon hat die Firma Angelini Pharma kürzlich gestartet, dann aber nach kurzer Zeit abgebrochen. Der Anfang ist gemacht, andere werden in anderer Form vermutlich folgen.
Je häufiger und länger die Praxis der Beidnennung um sich greift, desto stärker und schneller verschwindet der Sammelbegriff aus dem Sprachgebrauch.
2) Die Beidnennung lenkt vom Thema ab
Dass die meisten beim Gendern die Beidnennung verwenden, ist schlimm genug, denn ihre Nutzung ist schlichtweg albern. Permanent beide Geschlechter zu nennen, ist so ziemlich das Unsinnigste, was man beim Kommunizieren machen kann. Deutlich wird das, wenn man „Bürgerinnen und Bürger“, „Lehrerinnen und Lehrer“, „Politikerinnen und Politiker“ etc. durch „weibliche und männliche Bürger“, „weibliche und männliche Lehrer“, „weibliche und männliche Politiker“ etc. ersetzt. Es erinnert an die Streiche der Schildbürger, über die der Rest der Welt sich nicht einkriegen wollte vor Lachen. Dabei folgten die Schildbürger, wie überliefert wird, einem Plan: Sie wollten bewusst dumm aussehen, um nicht mehr mit Anfragen nach Ratschlägen konfrontiert zu werden. Diesen Plan kann ich bei den deutschen Genderbefürwortern nicht erkennen, im Gegenteil: Dieses dümmliche und alberne Verhalten ist tatsächlich ernst gemeint, ehrliche Albernheit sozusagen, vermutlich kein Ergebnis einer cleveren Strategie. Gesellt sich dann noch die Hartnäckigkeit permanenter Wiederholung der jahrtausendealten Weisheit, dass es Männer und Frauen gibt dazu, gerät die Beidnennung endgültig zur Posse. Ich lege mich fest: In spätesten zwanzig Jahren wir man über die Narretei der heutigen Beidnennung so seine Witze machen, Gender-Witze eben.
Sollte hinter der zunehmenden Verwendung der Beidnennung allerdings doch eine Strategie stecken, dann eine harmlos erscheinende, aber umso listigere, wie hier gezeigt.
Aber der wiederkehrende Gebrauch der Beidnennung ist nicht nur albern und dumm, er ist auch kontraproduktiv. Nehmen wir als Beispiel die Rede des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier bei der „Kundgebung für Solidarität mit Israel“ am 22.10.23. Nur zwei Sätze daraus:
„Es ist unerträglich, dass Jüdinnen und Juden heute wieder Angst haben, ausgerechnet in unserem Land. […] Noch nie seit dem Ende der Shoah wurden so viele Jüdinnen und Juden ermordet.“
Was ist der Inhalt der Aussagen?
1. „Es ist unerträglich, dass Juden heute wieder Angst haben, ausgerechnet in unserem Land.“
2. „Noch nie seit dem Ende der Shoah wurden so viele Juden ermordet.“
Diese beiden Sätze sind der Kern der Aussage des Bundespräsidenten und erzielen hoffentlich die von ihm beabsichtigte Wirkung, und – diesen Aussagen ist NICHTS hinzuzufügen!Aber der Bundespräsident HAT etwas hinzugefügt, nämlich sinngemäß:
„Heute haben weibliche und männliche Juden wieder Angst, und weibliche und männliche Juden sind ermordet worden“.
Hier werden die Kernaussagen der Sätze abgeschwächt, indem zusätzlich erwähnt wird, dass weibliche und männliche Juden betroffen sind, was jeder, wirklich jeder weiß. Es KANN nicht die Absicht des Bundespräsidenten gewesen sein, diese Kernaussagen abzuschwächen, aber es HAT genau diesen Effekt, denn die Aufmerksamkeit der Zuhörer wird von der zentralen Aussage abgelenkt. Das Gendern ist in diesem Zusammenhang absolut nicht angebracht, es ist kontraproduktiv und damit unangemessen und daher im Grunde unhöflich. Das Gegenteil von „gut gemacht“ ist „gut gemeint“.
Die Korrespondentin der F.A.Z., Heike Schmoll, hat dankenswerterweise ihrem Feingefühl den Vorrang gegenüber einer journalistisch korrekten Wiedergabe gegeben und in ihrem Bericht die unnötige Beidnennung des Bundespräsidenten (teilweise durch indirekte Rede) entfernt („Noch nie seit dem Ende der Schoa seien durch einen Angriff so viele Juden ermordet worden“).
3) Sonderformen für Personen mit Geschlecht divers (x)
Ein Berliner Professor namens Lann Hornscheidt, bis 2017 an der Humbolt-Universität tätig, schlägt für Personen mit dem Geschlecht divers als genderfreies Pronomen „ens“ vor, wie es bereits aus seiner Anrede zu entnehmen ist: Prof.ens Dr.ens Lann Hornscheidt. „Ens“ geht es darum, divers-geschlechtliche Menschen adequat anzusprechen und „ens“ schreibt auf „ens“ Internetseite folgendes: „Lann liebt es kreativ mit Sprache umzugehen. Ens freut sich ens Sprachformen mit anderen zu diskutieren.”
Die Beidnennung ist jedenfalls nicht dazu geeignet, „ens“ zu integrieren.
4) Komposita
Dabei wird es nicht bleiben. Die Komposita (zusammengesetzte Wörter) werden die nächsten sein, denn auch in ihnen stecken Sammelbegriffe. Aus „Bürgermeister“ (generisches Maskulinum) werden zunächst „Bürgermeister und Bürgermeisterinnen“, danach daraus „Bürgermeister, Bürgermeisterinnen, Bürgerinnenmeister und Bürgerinnenmeisterinnen“. Sie glauben es nicht? Dann schauen Sie mal in das Wahlprogramm der Grünen zur Bundestagswahl 2021. Hier eine kleine Kostprobe: Bürger*innenrechte, „Wir machen den Staat […] bürger*innennäher […]“, Mieter*innenschutz, Gründer*innenwelle, Bürger*innenversicherung, „mit […] einer […] bürger*innennahen Polizei […]“, Staatsbürger*innenschaft, Bürger*inneninitiative, Ehegatt*innensplitting. Hier ist zwar nicht die Einzelnennung sondern der Genderstern das hervorstechende Merkmal, aber die Zerstückelung der Komposita ist bereits in vollem Gang.
Diesen Niedergang hat der gemischtgeschlechtliche Sammelbegriff, der so ungemein praktisch und ökonomisch ist, nicht verdient, und er bedeutet eindeutig einen Verlust an sprachlichen Ausdrucksmöglichkeiten. Da ich Natur- aber kein Sprachwissenschaftler bin, kann ich nur vermuten, dass es in allen Sprachen einen Sammelbegriff für eine Gruppe aus männlichen und weiblichen „Besuchern“ o. ä. gibt. Man kann es förmlich mit den Händen greifen, dass eine Sprache, der die Ausdrucksmöglichkeit des alle einschließenden Sammelbegriffs fehlt, diesen über kurz oder lang einführen würde. Deutsch dagegen wäre die erste Sprache, die einen solchen gemischtgeschlechtlichen Oberbegriff abschafft. Ist den Anwendern des Sprach-Genderns dieser Zusammenhang eigentlich klar? Lebe wohl, gute alte Sprachökonomie!
Wie es insbesondere Deutschlehrer verantworten können, gegenüber ihren Schülern aktiv die Beidnennungen zu verwenden, ist mir ein Rätsel.
Nun kann man einwenden, dass die gemischtgeschlechtlichen Sammelbegriffe genau genommen gar nicht abgeschafft, sondern nur durch andere ersetzt werden. Das ist in der Tat der Fall, und Sie werden die meisten davon kennen: BesucherInnen, …*innen, …_innen, …/innen, …:innen, …[Sprechpause]innen, …@ („m@n“), …x („Professx“), …a („Bäcka“). Diese Konstrukte, die auf diverse Sonderzeichen zurückgreifen müssen, sind z.T. abenteuerlich und lassen Ästheten erschaudern. Dem Gender-Diktat wird die Schönheit der Sprache gnadenlos untergeordnet. Dazu kommen substantivierte Partizipialformen z. B. „Studierende“ oder „Rad Fahrende“, die in nahezu allen Fällen ihrer Anwendung grammatikalisch falsch eingesetzt werden. Auf die Partizipialformen werde ich an anderer Stelle näher eingehen.
Die „kreativen“ Sonderzeichen-Formen mögen ja noch „schreibbar“ sein, aber sind sie auch noch „sprechbar“? Sprache ist in erster Linie das gesprochene Wort und erst in zweiter Linie Schriftsprache. Was aber bleibt von den „kreativen“ Konstrukten an „sprechbaren“ Formen übrig? Die @-, x- und a-Gebilde sind es jedenfalls nicht.
Übrig bleiben nur die …[Sprechpause]innen und die Partizipialformen, außer man spricht den Genderstern* aus, wie etwa Herr Kleber im ZDF. Wollen wir unseren Kindern in den Gute-Nacht-Geschichten auch das Gendersternchen vorlesen (Die Schildbürger*innen) wenn wir schon nicht „Schildbürgerinnen und Schildbürger“ sagen wollen?
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