Das generische Femininum
Veröffentlicht am 12. 12. 2021, aktualisiert am 16. 10. 2022.
Während das Maskulinum im Deutschen sowohl in einer spezifischen („Dirk ist der beste Freund von Otto“) als auch einer generischen Form („wer Geld hat, hat viele Freunde“) vorliegen kann, existierte das Femininum bis vor wenigen Jahren nur in der spezifischen Form („Paul wohnt bei seiner Freundin“). Es war ausschließlich für Frauen reserviert.
Da aber das generische Maskulinum, wie seine Kritiker behaupten, Frauen höchsten mitmeinen, sie aber nicht ausdrücklich benennen würde, hat die Universität Leipzig im Jahr 2011 einen weitreichenden Beschluss gefasst, der auf eher kuriose Weise zustande kam. Des dauernden Streites leid, welche der geschlechterneutralen Schreibweisen (Binnen-I, _, *, : oder andere Zeichen) denn nun für den Uni-internen Gebrauch gelten sollen, machte der Physikprofessor Josef Käs den nicht ganz ernst gemeinten aber weitreichenden Vorschlag, doch einfach die weibliche Form für alle anzuwenden.
Dieser Vorschlag wurde angenommen und gilt bis heute: Alle Professoren, unabhängig von ihrem biologischen Geschlecht, sind jetzt Professorinnen. „Herr Professorin“ lautet die korrekte Anrede. Der Beschluss gilt selbstverständlich auch für die Leipziger Studenten. Die Gender-Aktivistinnen (fast nur Frauen) jubelten und empfanden endlich Genugtuung für „jahrhundertelang praktiziertes Unrecht durch die männliche Vorherrschaft“. Was zählt da schon, dass die historische Sprachentwicklung dabei auf den Kopf gestellt wird.
Rechtssicher scheint die Regelung wohl zu sein, schließlich ist der Beschluss demokratisch zustande gekommen und vom Wissenschaftsministerium abgesegnet worden. Aber er hat Konsequenzen: Die Uni-interne Aussage „30% der Studentinnen sind im Examen durchgefallen“ wird außerhalb der Universität garantiert missverstanden.
Das Justizministerium unter Christine Lambrecht hatte die Verwendung des generischen Femininums ernsthaft in Erwägung gezogen. Ein Gesetzentwurf wurde komplett im generischen Femininum formuliert. Dieser Entwurf enthielt nur Ausdrücke wie „Gesetzgeberin“, „Verbraucherin“ oder „Schuldnerin“, „Gesetzgeber“, „Verbraucher“ oder „Schuldner“ kamen nicht vor.
Der Aufschrei war groß, u. a. weil der Entwurf als „möglicherweise verfassungswidrig“ eingestuft wurde. Das Justizministerium musste darauf hin den Entwurf überarbeiten.
Auch im ZDF ist das generische Femininum schon angekommen: In einem Bericht kurz vor der Bundestagswahl sprach Journalist Peter Kunz, ZDF-Studioleiter Niedersachsen, vom „Kanzlerkandidatinnen-Triell“. Wenn es sich hier nicht um das generische Femininum handelt, dann gab es neben Frau Baerbock noch mindestens eine weitere Kandidatin, wahrscheinlich sogar zwei, was mir jedoch entgangen war.
Auch im Deutschlandfunk ließ sich vernehmen „Wir Journalistinnen …“, und zwar von einem männlichen Vertreter seiner Zunft. Ein anderer, der Sportjournalist Raphael Späth, sprach in diesem Sender von „weiblichen Athletinnen“. Wenn es sich hier nicht um einen Pleonasmus (z.B. „männlicher Kater“) handelt, dann kann es nur das generische Femininum sein.
Oder: Gleicher Sender, 16. 2. 2022, ein Bericht von Sebastian Engelbrecht anlässlich des Prozessbeginns wegen Drohschreiben des „NSU 2.0“: „Die Empfängerinnen waren vor allem Frauen […].“ Entweder wird das generische Femininum hier bewusst verwendet oder die Sprechpause vor dem „innen“ wird schlampigerweise ignoriert. In jedem Fall wird das generische Femininum so allmählich salonfähig gemacht.
Zu den Sprachregelungen der öffentlich rechtlichen Anstalten komme ich noch an anderer Stelle.
Inzwischen hat auch die Stadt Freiburg beschlossen, bei Stellenanzeigen nur noch das generische Femininum zu verwenden. Die bisher „Unsichtbaren“ sind also nicht mehr die Frauen, sondern von nun an (21.01.2022) und jetzt endlich die Männer! Hoffentlich sind die Rachegelüste damit einigermaßen gestillt. Dazu zwei interessante Kommentare (a, b).
Auch wenn Vertreter unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen in Rundfunkbeiträgen zu Wort kommen, wird von diesen immer häufiger das generische Femininum verwendet. So sprach der Vertreter des baden-württembergischen Landeselternbeirats, Michael Mittelstaedt, davon, dass nicht nur er, sondern auch viele seiner Kolleginnen Anfeindungen von Querdenkern ausgesetzt waren, was schlimm genug ist. Ob sich Herr Mittelstaedt des Gebrauchs des generischen Femininums bewusst war, ist nicht bekannt, aber anzunehmen ist schon, dass sich unter seinen vielen „Kolleginnen“ auch Männer befinden. Nur eines von vielen nicht selten gehörten Beispielen dieser Art.
Ich vermute, dass auch hier viele nicht wissen, was sie tun.
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