Gendern mit Doppelnennung: Wir können auch anders
Veröffentlicht am 24. 12. 2024, aktualisiert am 13. 1. 2025.
Bürgerinnen und Bürger. Wie oft hört oder liest man das. In Genderzeiten scheint das die häufigste Genderformel zu sein. Dicht gefolgt von Wählerinnen und Wähler, Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer. Was haben alle diese Formen gemeinsam? Sie benennen das weibliche und das männliche Geschlecht und gehören damit zur Doppel- oder Paarnennung, sie erfüllen in behördlichen Texten die Vorgabe des Bundesgleichstellungsgesetzes (BGleiG), die Gleichstellung von Männern und Frauen „auch sprachlich zum Ausdruck“ zu bringen, sie umgehen die Verwendung des generischen Maskulinums, sind damit auch Genderformen, die aber von den meisten Zeitgenossen trotzdem nicht als Gendern betrachtet werden – und sind doch nur Floskeln. (Anmerkung: Doppelnennung und Paarnennung werden im Folgenden synonym verwendet.)
Und sie sind der größte sprachliche Unsinn unserer Zeit. Als ob wir nicht wüssten, dass generische Maskulina wie Bürger, Schüler, Lehrer, Einwohner, Fußgänger und dergleichen mehr sowohl männlichen und weiblichen Geschlechts sein können und es fast immer auch sind. Aber man hat sehr viele von uns glauben gemacht, damit seien Frauen „unsichtbar“, da sie nicht explizit genannt werden, sie seien daher bestenfalls „mitgemeint“.
In Wirklichkeit werden mit dem generischen Maskulinum nicht nur die Frauen nicht genannt, auch die Männer werden es nicht. Das Nomen agentis (Substantiv, das sich von einem „handelnden“ Verb ableitet) „Mieter“ z.B. ist eine substantivierte Form des Verbs „mieten“, entstanden durch Anhängen des Suffixes „-er“ an den Wortstamm „miet“. Auf den gleichen Wortbildungsprozess gehen auch der „Zeiger“, der „Bohrer“ oder der „Rechner“ zurück. Auch diese sind nicht biologisch männlich, wie jeder weiß. Was aber in der unbelebten Natur nicht männlich sein kann, soll es in der belebten Natur plötzlich sein.
Im Grunde ist die Sprachökonomie „schuld“ an der Verteufelung des generischen Maskulinums. Es besteht ja eine formale, äußerliche Gleichheit zwischen der maskulinen Form, die nur Männer bezeichnet („Mein Bruder ist Lehrer“ oder „Bauer sucht Frau“) und der generischen maskulinen Form („Als Lehrer hat man eine große Verantwortung“ oder „Wer will heute noch Bauer werden?“). Der Kontext des Satzes lässt uns klar erkennen, ob die maskuline Form generisch oder spezifisch männlich gebraucht wird. Und genau deshalb, weil wir nämlich mit dem Satzkontext ein weiteres, sehr sicheres Unterscheidungskriterium haben, ermöglicht uns unsere Sprache, für diese beiden unterschiedlichen Situationen die gleiche maskuline Form zu verwenden, ohne dass Missverständnisse entstehen. Das ist Sprachökonomie pur! Man müsste sie erfinden, wenn es sie nicht in Form des generischen Maskulinums bereits gäbe.
Doch warum ist die generische Form ein Maskulinum? Sie könnte doch auch ein Femininum oder gar ein Neutrum sein. Auch hier liefert die Sprachökonomie die Begründung. Das Femininum ist um das Suffix „in“ bzw. „innen“ länger und daher gegenüber der maskulinen Form im Nachteil. Wäre sie das Neutrum, wäre dies sprachökonomisch am ungünstigsten, denn dann gäbe es für jede Personenbezeichnung drei Formen: die maskuline Form für den männlichen Sexus („der Schüler“), die feminine Form für den weiblichen Sexus („die Schülerin“) und für beide zusammen das Neutrum („das Schül???“). Aus gutem Grund hat sich im Deutschen die ökonomischste Form, das Maskulinum, etabliert, und daran sollten wir festhalten.
Leider ist mit den „unsichtbaren“ Frauen ein Großteil der Gesellschaft der feministischen Linguistik, allen voran Luise Pusch („Das Deutsche als Männersprache“), auf den Leim gegangen und klebt daran bis heute fest. Auch die Gerichte sind mit der Beurteilung des generischen Maskulinums leider dieser Sichtweise gefolgt: „Auch sprachlich“ soll die Gleichstellung von Männern und Frauen zum Ausdruck gebracht werden (BGleiG).
Als ob die Frauen vorher sprachlich benachteiligt gewesen wären, nur hätten sie das selbst nicht bemerkt, wahrscheinlich weil sie zu naiv oder zu dumm dazu waren – so müsste man das interpretieren. Doch dann kam endlich Frau Pusch, die sie aufklärte und ihnen „offenbarte“, sie seien nur „mitgemeint“. Da war es auf einmal da, das Gefühl des „Nur-mitgemeint-Seins“, und dieses Gefühl steckte andere an, wie ein Virus. Auch eine lediglich „gefühlte Realität“ ist eine Realität.
So sind wir heute u.a. bei der Doppelnennung angekommen, vor allem, weil Genderformen mit Sonderzeichen vom Rechtschreibrat nicht akzeptiert werden. Hoffentlich für immer. Leider hat sich die Vorstellung in der Sprachgemeinschaft festgesetzt, nur das „Sonderzeichen-Gendern“ sei Gendern, die Paarnennung dagegen sei es nicht. Ein folgenschwerer Irrtum. Auch die Doppelnennung trägt das generische Maskulinum zu Grabe, subtiler zwar, aber wirkungsvoller als alle „Sonderzeichen-Genderformen“.
Doch es gibt einen Ausweg. Man kann die Vorgaben des Gesetzgebers erfüllen und dennoch beim generischen Maskulinum bleiben. Noch besser, damit führt man sogar die Paarnennung selbst ad absurdum. Wie soll das gehen?
Bevor ich zu einer Alternative zur Doppelnennung komme, zunächst noch ein Blick auf die Doppelnennung selbst. Die Absurdität dieser Genderform und ihre ohrenschmerzende Floskelhaftigkeit lieferte beispielhaft der Bildungsforscher Olaf Köller am 18.12.24 in der Sendung „Markus Lanz“: Inhaltlich war vieles von dem, was er dort sagte, richtig und hörenswert, aber was die Form betraf, war es (für mich) eine Katastrophe. Einige Auszüge:
„Wir wussten, […] dass wir mehr Schülerinnen und Schüler [Minute 5:15] haben, die aus sogenannten bildungsfernen Familien kommen.“
„Wir wussten, der Anteil dieser Schülerinnen und Schüler [5:25] wird die nächsten Jahre zunehmen.“
„Wir haben die Anteile der Schülerinnen und Schüler, [6:10] die aus Familien kommen, die sie nicht unterstützen können.“
„Wir haben aber auch […] die Gruppe der Schülerinnen und Schüler [6:26] mit sonderpädagogischem Förderbedarf […], die jetzt im Regelschulsystem sind, also Schülerinnen und Schüler, [6:31] die vielfach sprachverzögert sind […]. Und wir haben auch eine Veränderung […] in der Anspruchsniveausetzung, und auch indem, dass wir die Schülerinnen und Schüler [6:53] heute im Schulunterricht […] nicht mehr erreichen.“
„Wir haben […] auch das Problem, dass wir viele, natürlich die Kolleginnen und Kollegen, [7:05] die hier [im Studio] sind, ausgenommen, also dass wir Lehrerinnen und Lehrer [7:07] in den Schulen haben, die […] auf die Schülerschaft […] weit weniger eingestellt ist.“
„Wenn wir Schülerinnen und Schüler [7:22] im Unterricht motivieren wollen, dann motivieren wir sie am ehesten, wenn wir sie mit Dingen [aus ihrer Welt] konfrontieren. Dass wir die Kontexte, aus denen die Schülerinnen und Schüler [7:32] kommen, stärker auch in die Klassenräume bringen.“
An den Zeitangaben (in eckigen Klammern) lässt sich erkennen, in welch konzentrierter Form die Doppelnennungen hier vorliegen. Ist das noch Deutsch? Wohl schon, aber gutes Deutsch ist es nicht, auch wenn es von einem Bildungsforscher kommt. Nicht nur das Deutsch-Niveau der Schüler ist gesunken, das der Lehrer und Bildungsforscher anscheinend auch. Eines muss man ihm lassen: Er ist in der Anwendung der Paarnennung immerhin konsequent, aber genau damit zeigt er die Albernheit dieser Genderform. Zum Glück hat er die etwa zehn „Schülerschaften“ und „Lehrkräfte“ nicht auch noch als Doppelnennung formuliert.
Um neben der Albernheit das Absurde der Doppelnennung zu erkennen, gibt es einen kleinen Trick, den jeder beim Hören von Paarnennungen für sich selbst anwenden kann: Man muss die Doppelnennung ein wenig umformulieren, „übersetzen“ könnte man auch dazu sagen, nach der Devise: Wir können auch anders. Man ersetze dazu einfach z.B. „Schülerinnen und Schüler“ durch „weibliche und männliche Schüler“. Inhaltlich transportieren beide Ausdrücke die gleiche Botschaft. Formal jedoch wird die movierte Kurzform ersetzt durch die beiden Adjektive „weiblich“ und „männlich“. Damit wird das Geschlecht, sowohl das weibliche als auch das männliche, bewusst hervorgehoben. Und genau dadurch offenbart die Paarnennung ihre Kernaussage, nämlich die völlig überflüssige Verkündung einer Banalität und Trivialität, die uns – Achtung, Ironie – gottlob zu der Erkenntnis verhilft, dass in den meisten Personengruppen sowohl das weibliche als auch das männliche Geschlecht vertreten ist. Jetzt wissen wir auch das, endlich. Heureka!
Die „übersetzte“ Version der Aussagen von Herrn Köller würde so lauten:
„Wir wussten, […] dass wir mehr weibliche und männliche Schüler haben, die aus sogenannten bildungsfernen Familien kommen.“
„Wir wussten, der Anteil dieser weiblichen und männlichen Schüler wird die nächsten Jahre zunehmen.“
„Wir haben die Anteile der weiblichen und männlichen Schüler, die aus Familien kommen, die sie nicht unterstützen können.“
„Wir haben aber auch […] die Gruppe der weiblichen und männlichen Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf […], die jetzt im Regelschulsystem sind, also weibliche und männliche Schüler, die vielfach sprachverzögert sind […]. Und wir haben auch eine Veränderung […] in der Anspruchsniveausetzung, und auch in dem, dass wir die weiblichen und männlichen Schüler, heute im Schulunterricht […] nicht mehr erreichen.“
„Wir haben […] auch das Problem, dass wir viele, natürlich die weiblichen und männlichen Kollegen, die hier [im Studio] sind, ausgenommen, also dass wir weibliche und männliche Lehrer in den Schulen haben, die […] auf die Schülerschaft […] weit weniger eingestellt ist.“
„Wenn wir weibliche und männliche Schüler im Unterricht motivieren wollen, dann motivieren wir sie am ehesten, wenn wir sie mit Dingen [aus ihrer Welt] konfrontieren. Dass wir die Kontexte, aus denen die weiblichen und männlichen Schüler kommen, stärker auch in die Klassenräume bringen.“
Bei den hier vorliegenden Aussagen handelt es sich keineswegs nur um die Resultate der außergewöhnlichen Formulierkunst eines einzelnen Bildungsforschers. Derlei Weisheiten finden sich im realen Leben zuhauf, und einige Beispiele sind nachfolgend aufgeführt. Die Aussagen sind tatsächlich so gefallen, zwar nicht wörtlich, dafür aber inhaltlich.
Bundeskanzler Scholz hat sich den Fragen der weiblichen und männlichen Journalisten gestellt.
Die weiblichen und männlichen Autofahrer standen stundenlang im Stau.
Weibliche und männliche Klimaaktivisten haben den Flugverkehr am Flughafen BER gestört.
In Rio de Janeiro beginnen die weiblichen und männlichen Finanzminister der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer ihre Beratungen.
Weibliche und männliche Kritiker werfen dem Unternehmen Wagner-Festspiele Unbeweglichkeit vor.
Im Gegensatz zu ausländischen weiblichen und männlichen Bahnbenutzern sind deutsche weibliche und männliche Bahnfahrer über die Unpünktlichkeit der Bahn nicht überrascht.
Nach Ansicht der weiblichen und männlichen Richter hetzt das rechtsextreme Magazin Compact gegen weibliche und männliche Juden.
Die Amtszeit der weiblichen und männlichen Richter soll zeitlich begrenzt werden.
„So sollten weibliche und männliche Demokraten nicht übereinander reden.“
Wenn Sie Ihr Haus energetisch sanieren wollen, brauchen Sie einen weiblichen oder männlichen Energieberater.
Die Polizei sucht nach weiblichen und männlichen Zeugen.
Die Situation ist insbesondere für jüngere weibliche und männliche Beitragszahler schlecht.
Auf ihre neue Regierung mussten die weiblichen und männlichen Thüringer lange warten.
Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage und fragen Sie Ihren männlichen Arzt, Ihren weiblichen Arzt oder in Ihrer Apotheke.
Weibliche und männliche Experten halten die Sparmaßnahmen (von VW) für überfällig.
Den weiblichen und männlichen Bürgergeldempfängern steht eine Nullrunde bevor.
Für einen weiblichen oder männlichen Sportler ist es eine große Ehre, bei Olympia als weiblicher oder männlicher Fahnenträger ausgewählt worden zu sein.
Die weiblichen und männlichen Mitarbeiter werden das Angebot der weiblichen und männlichen Arbeitgeber nicht annehmen.
Viele weibliche und männliche Unternehmer halten sich mit politischen Äußerungen zurück.
Weibliche und männliche Fahrradfahrer absteigen!
Der Vorgabe des BGleiG, beide Geschlechter „sprachlich zum Ausdruck“ zu bringen, ist jedenfalls auch mit dieser Form genüge getan, ich würde sagen, damit erst recht.
Um die Trivialität und Absurdität der Doppelnennung zu veranschaulichen, möchte ich zwei zu dieser Genderform analoge Beispiele nennen:
„Es sind noch fünf Tage und Nächte bis Weihnachten“ oder „Das Jahr hat 365 Tage und Nächte“.
Die Tage entsprechen dabei der männlichen und die Nächte der weiblichen Genderform, die „gendergerechte“ Formulierung ist hier eine „zirkadian-gerechte“ (zirkadianer Rhythmus = Tag-Nacht-Rhythmus). Ohne diese „zirkadian-gerechte“ Formulierung würde die „arme“ Nacht nicht „mitgenannt“, sondern „nur mitgemeint“ sein. Sie wäre dadurch sprachlich „unsichtbar“, analog zur „Schülerin“ beim „Schüler“, der angeblich nur männlich ist. So absurd, wie die „zirkadian-sensible“ Formulierung ist, so absurd ist auch die Paarnennung.
Ein ganz wichtiger Aspekt ist bei der „Übersetzung“ der Doppelnennung noch nicht angesprochen wurden. Durch die Umformulierung ist fast unbemerkt etwas „im Hintergrund“ passiert. Das generische Maskulinum ist wieder aufgetaucht, und zwar in unzweifelhaft generischer Form, ohne „male bias“, der ihm angelastet wird: z.B. „Schüler“. Es zeigt sich hier, dass eine „gendergerechte“ Sprache, sofern man glaubt, sie verwenden zu müssen, auch mit dem generischen Maskulinum möglich ist. Für Studenten, denen von ihren Universitäten die Verwendung der Gendersprache „nahegelegt“ wird, könnte das ein Ausweg sein.
Dass diejenigen, die sich weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zurechnen, dabei unerwähnt bleiben, muss, wie auch bei der Paarnennung selbst, leider in Kauf genommen werden. „Gendergerecht“ im engeren Sinn ist auch die Doppelnennung nicht, was gern ignoriert wird. Die einzige „gendergerechte“ Sprache ist ohnehin die, bei der das biologische Geschlecht nicht thematisiert wird, und das ist die mit den generischen Maskulinum (ohne „weiblich und männlich“), die, die wir alle in Vor-Gender-Zeiten hatten.
Noch ist es nicht soweit. Noch sind die wichtigsten gesellschaftlichen Multiplikatoren, wie öffentlich-rechtlicher Rundfunk, Universitäten, Schulen oder öffentliche Verwaltungen im Gender-Modus. Misstrauen wird dem entgegengebracht, der da nicht mitmacht, und diese Stigmatisierung zeigt Wirkung. Wer sich dem Gendern verweigert, ist höchst verdächtig, rechtsextremer Gesinnung anzuhängen, so die häufig verbreitete Erzählung. Gerade in Wahlkampfzeiten will keiner auf der falschen Seite stehen. Dann sicherheitshalber gendern, denn wer gendert, ist unverdächtig.
Dahin führt es, wenn man eine perfekt funktionierende Sprache einer Gender-Zensur unterzieht, wenn man das gefühlte „Gut-Sein“ über den klaren Verstand stellt, wenn man im Gender-Rausch blind ist für Argumente, wenn man sich in der Blase der Gleichgesinnten wohlig einrichtet und sich willenlos vom Zeitgeist treiben lässt, wenn man fremde Thesen ungeprüft übernimmt und das Nachplappern dem eigenen Denken vorzieht.
Wer dennoch bewusst an der Paarnennung festhält, dem ist wohl nicht zu helfen.
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