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Auch das noch

Als die Schildbürger sich eine neue Sprache zulegten

Veröffentlicht am 29. 3. 2025, aktualisiert am 3. 4. 2025.

Die Bürger von Schilda waren sehr gebildete Leute. Obwohl ihre Stadt mit etwa zwanzigtausend Einwohnern eher klein war, hatte sie doch mehrere Schulen, ein Friedrich-von-Schönberg-Gymnasium und sogar eine altehrwürdige Hochschule, die Ende des 16. Jahrhunderts gegründete Lalen-Universität. Studenten aus vielen Teilen des Landes, ja sogar aus anderen Ländern studierten hier, denn die Lalen-Universität hatte unter Wissenschaftlern einen exzellenten Ruf. Auch eine evangelische und eine katholische Kirche, ja sogar eine eigene Radioanstalt gab es in Schilda.

Die Bürger Schildas waren stolz auf ihre Stadt und auch auf sich selbst. Sie besaßen nicht viele materielle Reichtümer, ihr größter Schatz war ihre Bildung. Einigen ihrer klügsten Köpfe wurde sogar der Nebolpreis verliehen, welch andere Stadt dieser Größe konnte das von sich sagen. Schildas Bürger nannten sich gerne Schildbürger und brachten damit zum Ausdruck, dass sie trotz, oder besser, wegen ihrer Bildung reichlich Witz und Humor hatten, auch über sich selbst zu lachen.

Schilda war eine weltoffene Stadt, und das sprach sich herum. Viele Besucher kamen hierher und jedes Jahr wurden es mehr. Sie genossen den angenehmen und inspirierenden Aufenthalt und einige blieben für immer. In Schilda fühlte man sich wohl – zumindest als Tourist und Besucher.

Die Schildbürger selbst aber waren alles andere als erfreut darüber. Der Wohnraum für sie wurde Jahr für Jahr knapper und teurer, die Straßen waren von dem hohen Verkehrsaufkommen verstopft, es war laut und obendrein wurde die Stadtreinigung dem gestiegenen Müllaufkommen kaum noch Herr.

„So kann es nicht weitergehen“, sagten die Schildbürger und hielten eine große Bürgerversammlung ab. Viele meldeten sich mit Vorschlägen zu Wort, wie man die Stadt für die Besucher etwas weniger attraktiv machen könnte. Ein paar Blitzgescheite hatten eine sehr originelle Idee: „Wir ändern unsere Sprache so, dass niemand außer uns sie verstehen kann.“

„Wie soll das funktionieren?“, fragten einige. „Eigentlich ganz einfach“, erkläre ein Blitzgescheiter. „Wir verwenden für jede Gruppe und Untergruppe der Menschen unserer Stadt ein eigenes Wort: Für die Männer eines, z.B. Schildbürger, für die Frauen ein anderes, z.B. Schildbürgerinnen, für die, die nicht wissen, ob sie Mann oder Frau sind, z.B. andere Schildbürgende und so weiter. Männer und Frauen zusammen könnte man ja Schildbürger*innen nennen, oder vielleicht auch nur Schildbürgerinnen, oder mal so und mal so, jeder und jede und jedes wie er oder sie oder es es mag.“ Das versteht vielleicht nicht jeder oder jede oder jedes auf Anhieb, aber das sei ja auch der Sinn der Sache, hieß es. Und daher bedürfe es auch etwas Übung, aber da die Einwohner und Einwohnerinnen und anderen Einwohnenden von Schilda ja schlaue Leute seien, würden sie das schon hinkriegen. Und außerdem würde dadurch, dass jede einzelne Gruppe gesondert genannt werden würde, diese jetzt auch nicht mehr übersehen werden.

„Muss das wirklich sein, dass jede einzelne Gruppe extra erwähnt wird?“, fragten sich viele. Die meisten Frauen waren im Grunde dagegen, sie fanden es überflüssig, gesondert genannt zu werden. „Es weiß doch jedes Kind, dass die Hälfte aller Schildbürger Frauen sind“, sagten sie. „Nein, nein, das geht nicht“, sagte ein Blitzgescheiter, „es müssen schon alle mitmachen, denn es dient ja einer guten Sache.“ Nun gut, wenn es dem guten Zwecke, Schilda-Besucher fernzuhalten, dienlich sei, dann wolle man dem nicht im Wege stehen. Schließlich wurde beschlossen, ab jetzt die neue Schilda-Sprache einzuführen. Ein echter Schildbürgerstreich. Auch Bildung schützt vor Torheit nicht.

Die Schulen bekamen neue Lehrbücher in geschildater Sprache. Die Lehrer nannten sich fortan Lehrer, Lehrerinnen und andere Lehrende und ihre Schüler wurden Schüler, Schülerinnen und andere Schulkind Seiende genannt. Vielen Schüler*innen fiel die neue Schilda-Sprache nicht ganz leicht, aber am Ende hatten sie sich doch schnell daran gewöhnt.

Natürlich lernten auch die Kleinsten in den Kindergärten von ihren Erziehern, Erzieherinnen und anderen Erziehenden von nun an, wie man richtig schildat. Selbstverständlich wurde auch an der Lalen-Universität fleißig die Schilda-Sprache gelehrt, nur mit dem Unterschied, dass einige Ewiggestrige unter den Studenten, Studentinnen und anderen Studierenden, stur, wie sie nun einmal waren, heftig dagegen protestierten, so wie es an Universitäten eben üblich ist. Aber die Universität wusste sich zu helfen: Sie verfasste einen „Leitfaden“ für den korrekten Gebrauch der Schilda-Sprache, und an diesem musste sich jeder Student, jede Studentin und jeder oder jede oder jedes andere Studierende orientieren. Schließlich sind es ja die Studenten, die Studentinnen und die anderen Studierenden, die als spätere Lehrer, Lehrerinnen und andere Lehrende die Schüler, Schülerinnen und anderen Schulkind Seienden unterrichten sollen.

Auch im lokalen Schilda-Radio standen die Moderatoren, Moderatorinnen und anderen Moderierenden den Universitätsmitarbeitern, Universitätsmitarbeiterinnen und anderen Universitätsmitarbeitenden in nichts nach. Überall wurde eifrig geschildat und alle klopften sich gegenseitig auf die Schultern vor Stolz darüber, wie schnell man, frau oder es doch die neue Schilda-Sprache verinnerlicht hatte. Man, frau oder es sei ja schließlich sehr gebildet, lobten sie sich selbst.

Doch wie reagierten die Besucher darauf? Um deren Anzahl zu verringern, hatte man, frau oder es das Schilda-Projekt überhaupt aus der Taufe gehoben.

Anfangs, als es sich noch nicht herumgesprochen hatte, dass die Schildbürger, Schildbürgerinnen und anderen Schildbürgenden plötzlich eine neue, sehr originelle, aber gewöhnungsbedürftige Schilda-Sprache sprachen, waren die Besucherzahlen noch hoch. Doch die Nachricht von der neuen Sprache verbreitete sich schnell. Man wurde neugierig auf das Experiment der Schildbürger. Völlig unerwartet stieg daraufhin die Zahl der Besucher zunächst an. Die Schildbürger, Schildbürgerinnen und die anderen Schildbürgenden bekamen plötzlich Zweifel, ob ihr Schilda-Sprachenprojekt wirklich den erhofften Effekt haben würde. Doch es kam, wie es kommen sollte.

Nach und nach fühlten sich einzelne Besucher in Schilda nicht mehr richtig verstanden oder sie verstanden die Einwohner Schildas nicht mehr. Viele begannen zu murren.

Einer von ihnen fragte einmal einen Schildbürger, wie viele Einwohner die Stadt denn habe. „Zehntausend“, lautete die Antwort. Der Besucher wunderte sich, denn er war sich ziemlich sicher, dass es doppelt so viele sind. Vielleicht sind die anderen weggezogen, dachte er sich.

Auf vielen Plakaten in der Stadt verkündete die Universität: „Die Lalen-Universität ist stolz, dieses Jahr Gastgeberin der Schildaer Gender-Tage sein zu dürfen.“ „Seit wann ist die Universität eine Frau?“, fragten sich die Besucher.

„Warum sind so viele Studentenkneipen geschlossen?“, wollte einer der Besucher wissen. „Wegen der Semesterferien, da fahren die Studenten, Studentinnen und die anderen Studierenden in den Urlaub.“ „Bemerkenswert, dass die Studenten sogar im Urlaub studieren“, staunte er.

Im lokalen Schilda-Radio wurde gemeldet, dass wegen einer Demonstration streikender Mitarbeitender die Autofahrenden im Stau stehen würden und dass an ein Weiterfahren nicht zu denken sei. „Wie kann das sein, dass Arbeitende streiken und Fahrende stehen?“, fragten sich die Besucher, die diese Meldung hörten.

„Man sieht so wenige Schüler, sind denn gerade Ferien?“, wollte ein anderer wissen. „Ja“, sagte eine Schildbürgerin, „aber bei uns haben nicht nur die Schüler Ferien, auch die Schülerinnen und die anderen Schulkind Seienden.“ „Hält die mich für blöd?“, dachte sich der Besucher.

An der Schautafel einer Kirche war zu lesen: „Gott*innendienst am Sonntag um 10 Uhr“. „Welchen Göttinnen dienen die?“ Fassungslos gingen die Besucher davon.

Als ziemlich ärgerlich wurde ein Hinweisschild empfunden, auf dem zu lesen war: „Fußgängerinnen bitte die rechte Straßenseite benutzen“. „Warum sollen denn nur die Frauen rechts gehen?“, fragten sich alle. Das ist doch ungerecht – unverschämt, so etwas. Die Besucher wussten offensichtlich nicht, dass mit „Fußgängerinnen“ alle Fußgänger, Fußgängerinnen und anderen zu Fuß Gehenden gemeint waren, wie auch?

Viele Besucher verstanden die Welt nicht mehr und die Schilda-Sprache erst recht nicht. „Wieso verwenden sie unterschiedliche Wörter für die Bewohner dieser Stadt, eines, Schildbürger, hätte doch gereicht. Stattdessen drei oder mehr, wie dumm ist das denn? Und dann sprechen sie von Frauen, selbst wenn sie alle meinen. Was soll das bloß? Das ist doch völlig unpraktisch, ja regelrecht töricht.“ Sie konnten nur den Kopf schütteln über so viel Dummheit, Irrsinn und Verwirrtheit, wie sie dachten. „Da gehen wir nicht mehr hin, die versteht ja niemand mehr“, sagten sie sich.

So sprach es sich nach und nach herum, dass die verrückten Schildbürger sich eine bisher noch nie dagewesene Sprache zugelegt hatten. Alle lachten über diesen vermeintlichen Unsinn. Die Besucherzahlen gingen deutlich zurück, und nur noch ganz selten schaute ein einzelner, weitgereister Tourist in Schilda vorbei. Auch er konnte nur lachen über die seltsame Sprechweise der Schildbürger. „Aber sonst ist nicht viel los hier“, sagte er sich, und zog weiter.

Viele Schildbürger, Schildbürgerinnen und anderen Schildbürgenden aber lachten sich ins Fäustchen. Sie hatten mit ihrer Schilda-Sprache ihr Ziel erreicht.

Hier könnte die Geschichte zu Ende sein, doch sie geht noch ein Stückchen weiter.

Ruhig war es geworden in Schilda. Die Straßen waren größtenteils frei und das Müllproblem gab es so auch nicht mehr. Auch viele Wohnungen waren frei geworden und daher günstig zu mieten. Ein Großteil der Bürger, Bürgerinnen und anderer Bürgenden war glücklich und zufrieden darüber.

Doch einige der Bewohner, Bewohnerinnen und anderen Bewohnenden Schildas äußerten ihren Unmut über die Lage in der Stadt. „Wir verkaufen kaum noch etwas, seit die Touristen, Touristinnen und andere Tourende ausbleiben, wovon sollen wir leben?“ Besonders die Gastronomie litt unter der neuen Situation, viele Lokale mussten schließen. Auch der, die oder das Stadtkämmernde war in großer Sorge, denn die Steuereinnahmen ließen bedrohlich nach. Kaum jemand wollte noch eine Stadtrundfahrt machen und die Taxifahrer, Taxifahrerinnen und anderen Taxi Fahrenden und die Stadtführer, Stadtführerinnen und anderen durch die Stadt Führenden standen sich auf Kundschaft wartend die Beine in den Bauch. An der berühmten Lalen-Universität gingen die Zahlen der eingeschriebenen Studenten, Studentinnen und anderen Studierenden auch zurück. Vielen Professoren, Professorinnen und andere Hochschullehrende wurden in den Zwangsurlaub geschickt. Die Stadt blickte sorgenvoll in die Zukunft.

Aus diesem Grund wurde wieder eine Schildbürger-, Schildbürgerinnen- und Andere-Schildbürgenden-Versammlung einberufen. Fast alle Einwohner, Einwohnerinnen und anderen Einwohnenden Schildas kamen, auch die früheren Blitzgescheiten fehlten nicht.

„Wir wollen unsere Touristen wiederhaben, daher lasst uns die Schilda-Sprache wieder abschaffen“, forderten viele der Anwesenden, „sie hat uns kein Glück gebracht. Außerdem war sie zu kompliziert, ohne klare Regeln. Selbst wir Einheimischen haben sie kaum verstanden, dauernd gab es Missverständnisse.“

„Nein, nein“, widersprachen die Blitzgescheiten, „sie hat uns gute Dienste getan. Ohne die Schilda-Sprache wäre es nie so ruhig und beschaulich in unserer Stadt, sie muss auf jeden Fall bleiben.“

Vertreter der Lalen-Universität äußerten sich ebenfalls. „Jetzt haben wir so viele Studenten, Studentinnen und andere Studierende in dieser Sprache ausgebildet, das kann doch nicht alles falsch gewesen sein. Und viele von ihnen sind mittlerweile Lehrer, Lehrerinnen und andere Lehrende geworden und haben ihr Wissen längst an den Schulen an die Schüler, Schülerinnen und anderen Schulkind Seienden weitergegeben. Wir können die Zeit doch nicht zurückdrehen.“

Auch beim Schilda-Radio hatten viele Absolventen, Absolventinnen und andere absolviert Habende der Universität eine Anstellung als Journalist, Journalistin oder andere oder anderer journalistisch Arbeitende oder Arbeitender gefunden. Sie wollten auf jeden Fall an der Schilda-Sprache festhalten, denn in dieser Sprache hatten sie schließlich ihre Examensarbeiten verfasst.

Ebenfalls die geschildate Sprache beibehalten wollten die ehemaligen Schüler, Schülerinnen und anderen Schulkind Gewesenen, denn sie hatten nie eine andere Sprache zu hören bekommen, nicht von ihren Eltern 1, oder Eltern 2, den Lehrern, Lehrerinnen und anderen Lehrenden und auch nicht von den Sprechern, Sprecherinnen und anderen Sprechenden im Schilda-Radio. Inzwischen erwachsen, hatten viele von ihnen selbst Kinder, die nur die Schilda-Sprache sprachen. Deshalb sollte im Kindergarten auch weiterhin die geschildate Sprache gesprochen werden.

Auch die Vertreter, Vertreterinnen und anderen Vertretenden der beiden Kirchen kamen zu Wort. Die inzwischen durch die Schilda-Sprache eingekehrte Ruhe in der Stadt sei ein Segen, sagten sie, sie befördere die seelische Einkehr und sei daher auf jeden Fall zu begrüßen. Und das sei besser, als dem schnöden Mammon zu dienen.

Es wurde heftig diskutiert in der Versammlung. Die Positionen der Befürworter, Befürworterinnen und anderen Befürwortenden der Schilda-Sprache einerseits und ihrer Gegner andererseits waren so gegensätzlich, dass es nicht möglich war, einen Konsens zu finden. Am Schluss endete alles in einem großen Streit, und man ging ohne Einigung auseinander. Da aber kein Beschluss gefasst werden konnte, blieb es offiziell und bis auf weiteres bei der bisherigen Schilda-Sprache.

Die einen sprachen sie nun aus Überzeugung, die anderen lehnten sie aus Überzeugung ab. Man hatte sich festgefahren. Das Sprach-Chaos in Schilda war perfekt. Die Universität verlor nach und nach an Bedeutung – wer kennt heute noch die Lalen-Universität oder das Friedrich-von-Schönberg-Gymnasium? Die Kirchenaustritte in Schilda nahmen bedrohlich zu, Gottesdienste fanden nur noch selten statt, mangels Interesse. Die Besucher blieben weitgehend aus, bis auf wenige, die kamen, um sich über die Schildbürger zu amüsieren.

So geriet die Stadt allmählich in Vergessenheit, nur vereinzelt findet man noch anekdotische Berichte über das seltsame Gebaren der Schildbürger. Die Schilda-Sprache spricht übrigens heute, nach all den Jahren, niemand mehr.

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