Sehr geschlechtergerechte Anrede
Veröffentlicht am 15. 1. 2025, aktualisiert am 27. 1. 2025.
(Für für Ironie und Spott Empfängliche)
Sehr geehrte Geschlechter,
so könnte sie lauten, die geschlechtsneutrale Anrede. Unter der Annahme natürlich, dass jede der angesprochenen Personen auch ein Geschlecht mit sich trägt, nein, sein Eigen nennt, nein, eines ist – so, jetzt hab ich’s, glaube ich wenigsten.
Ja, man muss schon aufpassen, dass man nicht eines der 60 oder so Geschlechter aus dem Blick verliert und sprachlich diskriminiert. Das darf man nämlich nicht. Sonst steigt einem oder einer (also einem Geschlecht) die Meldestelle für Diskriminierung aufs Dach. Bloß nicht!
Das wissen auch die Macherinnen und Macher (ich meine: die Geschlechter) der Tagesschau. Früher haben sie ihre zuhörenden und zuschauenden Geschlechter (hab ich das jetzt korrekt formuliert?) noch mit „Guten Abend, meine Damen und Herren“ begrüßt – welch eine Ungerechtigkeit. Als ob die anderen 58 (60 (siehe oben) – 2) Geschlechter nicht auch allabendlich der Tageschau beiwohnen würden. Aber jetzt ist Schluss mit der Diskriminierung! Wenn die Gruppe der 58 Geschlechter unterschlagen wird, dann werden die anderen zwei auch nicht mehr erwähnt. Punkt. Aus. Basta.
Jetzt kann man natürlich fragen, warum sich die Tagesschau eigentlich so um mein Geschlecht kümmert. Das geht die doch überhaupt nichts an. Sie könnten doch auch sagen: „Guten Abend, liebe Zuschauer“.
Oh, nein, lieber nicht, das wäre ziemlich diskriminierend. Stellen Sie sich mal vor, unter den Zuschauern wäre ein Blinder. Kann eigentlich nicht sein, ich weiß, also dann so: unter den Zuhörern wäre ein Blinder. Dann wüsste der doch sofort, dass er mit „Zuschauer“ nicht gemeint sein kann. Das ist doch Diskriminierung pur. Sehen Sie! Entschuldigung. Hören Sie!
Aber „Guten Abend, liebe Zuhörer“ geht auch nicht. Sie ahnen es: Die Tauben werden diskriminiert. Also die tauben Zuhörer, meine ich, nicht die Vögel. Nein Quatsch: die tauben Zuschauer natürlich. Mein Gott, ist das kompliziert.
Vielleicht geht ja: „Guten Abend, meine Zuhörer und Zuschauer“. Die Blinden könnten sich mit „Zuhörer“ angesprochen fühlen und die Tauben mit „Zuschauer“.
Und schon taucht ein neues Problem auf: „Zuschauer“, „Zuhörer“? Das geht doch nicht! Das ist doch ein generisches Maskulinum, igittigitt – oder schlimmer: Es sind nur Männer – oh Gott, oh Gott, dieses verdammte Patriarchat!
Ja, wie denn dann, wenn „Zuschauer“ und „Zuhörer“ nicht gehen, „Damen“ und „Herren“ aber auch nicht? „Liebe Deutsche“ vielleicht? „Nö“, würde Olaf Scholz sagen, und er hätte recht. Die Nicht-Deutschen würden ausgegrenzt. „Guten Abend, meine Deutschen und Nicht-Deutschen“. Ja, das wäre denkbar.
Klingt aber nicht gut, klingt ziemlich völkisch, das wollen wir doch nicht. Die Amis sagen zwar: „My Fellow Americans“, aber die machen auch sonst viele seltsame Sachen.
Also, wenn man alles so bedenkt, und das tun wir doch bitte (!), ist „Guten Abend, meine Geschlechter“ vielleicht gar nicht so falsch. Vielleicht nicht „meine Geschlechter“, als hätte das Geschlecht, das uns mit diesem Satz begrüßt, mehr als ein Geschlecht. Aber gemeint sind ja auch nicht seine oder ihre oder (jetzt wird’s schwierig, jedenfalls Geschlechts) Geschlechter, sondern unsere Geschlechter, also meines und auch das Ihre.
Daher schlage ich vor: „Guten Abend, liebe Geschlechter“. Es kann allerdings sein, dass im Anschluss an diese Anrede kein Geschlecht mehr zuschaut oder zuhört.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr männliches Geschlecht (also, nicht Ihres, sondern meines, äh …?)
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