Anne und die erste weibliche Frau
Veröffentlicht am 7. 6. 2024, aktualisiert am 12. 6. 2024.
Wenn man der Aussage der Deutschlandfunk-Korrespondentin Anne Demmer vom 3.6.24 glauben darf, könnte Claudia Sheinbaum „die erste weibliche Präsidentin Mexikos“ werden (Stand 4.6.24). Auch die ARD verbreitete die „erste weibliche Präsidentin“ von Frau Demmer im Internet (Stand 3.6.24, 9:16 Uhr).
Oh, Frau Demmer! Wir wissen natürlich, dass Präsidentinnen Frauen sind, auch mexikanische. Nichtsdestoweniger wurde es höchste Zeit, dass uns mal eine Korrespondentin vom Fach darüber aufklärt, dass diese Frauen weiblich sind – wir wären sonst ahnungslos geblieben, danke für dieses Aha-Erlebnis.
Wir reden also hier von einer ersten weiblichen Frau im höchsten Amt Mexikos. Aber was war bloß mit ihren Vorgängerinnen? Ich schließe aus Ihrer Aussage, dass es sich bei diesen um männliche Präsidentinnen gehandelt hat, habe ich Recht?
Ich erlaube mir mal, die mexikanischen Verhältnisse auf Deutschland zu übertragen. Alle Amtsvorgängerinnen von Angela Merkel waren ausnahmslos männliche Bundeskanzlerinnen, bis Frau Merkel kam, die erste weibliche Bundeskanzlerin. Donnerwetter! Olaf Scholz hat es nicht zur zweiten weiblichen Bundeskanzlerin geschafft, sondern lediglich zu einer männlichen Bundeskanzlerin, wie die allermeisten Bundeskanzlerinnen davor. Nun ja, damit muss er (oder sie?) leben. Eine gewisse Bundeskanzlerin Schröder wird, wie ich vermute, nicht sonderlich erfreut sein über ihre Zuordnung zum Kreis der Kanzlerinnen, aber sie mag sich damit trösten, dass sie in guter Gesellschaft ist.
Halt, Stopp! Vielleicht war das mit der weiblichen Präsidentin nur ein Versehen, ein Lapsus, wie er jeder mal passieren kann. Dann wäre Ihnen ein Pleonasmus unterlaufen, was nicht weiter schlimm wäre, außer, dass ich Sie gründlich missverstanden hätte, was mir leid täte.
Ich habe mir Ihren Beitrag daraufhin bis zum Ende angehört, und siehe da, Sie haben es schon wieder gesagt: „eine erste weibliche Präsidentin an der Spitze in Mexiko“. Daher vermute ich dahinter doch eine klare Absicht und ziehe daraus den Schluss, dass Sie es wahrscheinlich verabscheuen, ein generisches Maskulinum – „der erste weibliche Präsident Mexikos“ – zu verwenden und/oder eine weibliche Verfechterin des generischen Femininums sind.
Gut, das dürfen Sie privat auch sein, auch wenn Sie für den Deutschlandfunk arbeiten, oder besser, gerade dann. Ich selbst höre tatsächlich immer noch diesen Sender, für den ich zwangsweise meine Rundfunkbeiträge zahle, früher gerne und aus Überzeugung, heute zunehmend mit Widerwillen. In letzter Zeit schalte ich aber immer öfter aus oder drehe kurz den Ton weg, wenn es mir zu bunt wird. Ich denke, Sie verstehen schon, warum.
Ich spreche nämlich die deutsche Sprache schon etwas länger als Sie und die meisten Ihrer Kolleginnen und bin ziemlich verärgert darüber, wie gerade im öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) das Deutsche als Sprachbaukasten verstanden wird, mit dem man sich nach Belieben seine Individualsprache zusammenstellen kann. Privat können Sie sprechen, wie Sie wollen, nicht aber im gebührenfinanzierten ÖRR. „Alter weißer Mann“, denken Sie jetzt wahrscheinlich, meinetwegen, Sie dürfen „weißer“ auch gerne nur mit „s“ verstehen.
Laut Rundfunkstaatsvertrag hat ein öffentlich-rechtlicher Sender u. a. die Aufgabe, die Bürger korrekt zu informieren, und das sollte auch sein eigener Anspruch sein. Das aber ist nicht möglich, wenn einzelne Korrespondentinnen die feminine Form für Männer und Frauen verwenden, der Zuhörer darunter aber nur Frauen versteht. Zur Veranschaulichung dessen dürfen Sie gerne darüber rätseln, ob ich im letzten Satz das generische Femininum verwendet habe. Mit dieser Zweideutigkeit wollen Sie aus meiner Sicht entweder den Zuhörer bewusst im Unklaren lassen, oder ihn zum generischen Femininum erziehen. Ersteres entspricht nicht dem journalistischen Ethos, Letzteres ist anmaßend und übergriffig.
Dass Sie genanntes Ethos bewusst missachten, kann ich mir eigentlich nicht vorstellen, ob Sie spracherzieherisch tätig sein wollen, weiß ich nicht. Vermutlich hat Sie nur ein diffuses „gutes Gefühl“ geleitet oder Sie verstehen „weiblicher Präsident“ als ein Widerspruch in sich. Dann hätten Sie das generische Maskulinum gründlich missverstanden, aber damit wären Sie leider nicht allein. Auch die Wochenzeitung „der Freitag“ war sich nicht zu schade, von „weiblichen Politikerinnen“ zu sprechen. Das „Weibliche-Frauen-Virus“ scheint um sich zu greifen und dabei hoch ansteckend zu sein (a, b, c).
Vielleicht stimmen Sie mir zu, dass wir aus sprachökonomischen Gründen eine generische Form brauchen, um effizient kommunizieren zu können und uns nicht permanent gegenseitig der trivialsten Sache der Welt zu versichern, nämlich dass es Frauen und Männer gibt. Mir will partout nicht einleuchten, warum wir die deutlich weniger komplexe maskuline (nicht männliche!) Form zugunsten einer längeren femininen Form aufgeben sollten.
In einem Punkt dürften Sie mir beipflichten: Unsere Sprache gehört nicht nur einer elitären, medial einflussreichen und oft mit großer Entscheidungsbefugnis ausgestatteten Minderheit, sondern uns allen. Dass alle Umfragen zur Akzeptanz sogenannter gendersensibler Sprache ein eindeutiges Meinungsbild ergeben haben, wird Ihnen und allen anderen ÖRR-Kollegen nicht entgangen sein.