Anne und die erste weibliche Frau
Veröffentlicht am 7. 6. 2024, aktualisiert am 28. 11. 2024.
Wenn man der Aussage der Deutschlandfunk-Korrespondentin Anne Demmer vom 3.6.24 glauben darf, könnte Claudia Sheinbaum „die erste weibliche Präsidentin Mexikos“ werden (Stand 4.6.24). Auch die ARD verbreitete die „erste weibliche Präsidentin“ von Frau Demmer im Internet (Stand 3.6.24, 9:16 Uhr).
Oh, Frau Demmer! Wir wissen natürlich, dass Präsidentinnen Frauen sind, auch mexikanische. Nichtsdestoweniger wurde es höchste Zeit, dass uns mal eine Korrespondentin vom Fach darüber aufklärt, dass diese Frauen weiblich sind – danke für dieses Aha-Erlebnis.
Wir reden also hier von einer ersten weiblichen Frau im höchsten Amt Mexikos. Aber was war bloß mit ihren Vorgängerinnen? Ich schließe aus Ihrer Aussage, dass es sich bei diesen um männliche Präsidentinnen gehandelt hat, habe ich Recht?
Ich erlaube mir mal, die mexikanischen Verhältnisse auf Deutschland zu übertragen. Alle Amtsvorgängerinnen von Angela Merkel waren ausnahmslos männliche Bundeskanzlerinnen, bis Frau Merkel kam, die erste weibliche Bundeskanzlerin. Donnerwetter! Olaf Scholz hat es nicht zur zweiten weiblichen Bundeskanzlerin geschafft, sondern lediglich zu einer männlichen Bundeskanzlerin, wie die allermeisten Bundeskanzlerinnen davor. Nun ja, damit muss er (oder sie?) leben. Eine gewisse Bundeskanzlerin Schröder wird, wie ich vermute, nicht sonderlich erfreut sein über ihre Zuordnung zum Kreis der Kanzlerinnen, aber sie mag sich damit trösten, dass sie in guter Gesellschaft ist.
Halt, Stopp! Vielleicht war das mit der weiblichen Präsidentin nur ein Versehen, ein Lapsus, wie er jeder mal passieren kann. Dann wäre Ihnen ein Pleonasmus unterlaufen, was nicht weiter schlimm wäre, außer, dass ich Sie gründlich missverstanden hätte, was mir leid täte.
Ich habe mir Ihren Beitrag daraufhin bis zum Ende angehört, und siehe da, Sie haben es schon wieder gesagt: „eine erste weibliche Präsidentin an der Spitze in Mexiko“. Daher vermute ich dahinter doch eine klare Absicht und ziehe daraus den Schluss, dass Sie es wahrscheinlich verabscheuen, ein generisches Maskulinum – „der erste weibliche Präsident Mexikos“ – zu verwenden und/oder eine weibliche Verfechterin des generischen Femininums sind.
Gut, das dürfen Sie privat auch sein, auch wenn Sie für den Deutschlandfunk arbeiten, oder besser, gerade dann. Ich selbst höre tatsächlich immer noch diesen Sender, für den ich zwangsweise meine Rundfunkbeiträge zahle, früher gerne und aus Überzeugung, heute zunehmend mit Widerwillen. In letzter Zeit schalte ich aber immer öfter aus oder drehe kurz den Ton weg, wenn es mir zu bunt wird. Ich denke, Sie verstehen schon, warum.
Ich spreche nämlich die deutsche Sprache schon etwas länger als Sie und die meisten Ihrer Kolleginnen und bin ziemlich verärgert darüber, wie gerade im öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) das Deutsche als Sprachbaukasten verstanden wird, mit dem man sich nach Belieben seine Individualsprache zusammenstellen kann. Privat können Sie sprechen, wie Sie wollen, nicht aber im gebührenfinanzierten ÖRR. „Alter weißer Mann“, denken Sie jetzt wahrscheinlich, meinetwegen, Sie dürfen „weißer“ auch gerne mit „s“ verstehen.
Laut Rundfunkstaatsvertrag hat ein öffentlich-rechtlicher Sender u. a. die Aufgabe, die Bürger korrekt zu informieren und das sollte auch sein eigener Anspruch sein. Das aber ist nicht möglich, wenn einzelne Korrespondentinnen die feminine Form für Frauen und Männer verwenden, der Zuhörer darunter aber nur Frauen versteht. Zu Veranschaulichung dessen dürfen Sie gerne darüber rätseln, ob ich bei „Korrespondentinnen“ das generische Femininum verwendet habe. Mit dieser Zweideutigkeit wollen Sie aus meiner Sicht entweder den Zuhörer bewusst im Unklaren lassen oder ihn zum generischen Femininum erziehen. Ersteres entspricht nicht dem journalistischen Ethos, Letzteres ist anmaßend und übergriffig.
Dass Sie genanntes Ethos bewusst missachten, kann ich mir eigentlich nicht vorstellen, ob Sie spracherzieherisch tätig sein wollen, weiß ich nicht. Vermutlich hat Sie nur ein diffuses „gutes Gefühl“ geleitet oder Sie verstehen „weiblicher Präsident“ als ein Widerspruch in sich. Dann hätten Sie das generische Maskulinum gründlich missverstanden, aber damit wären Sie leider nicht allein. Auch die Wochenzeitung „der Freitag“ war sich nicht zu schade, von „weiblichen Politikerinnen“ zu sprechen.
Zur Schwesterschaft der weiblichen und männlichen Frauen unter den ÖRR-Korrespondentinnen gehört seit dem 21.11.24 auch die ZDF-Korrespondentin Ines Trams, die von Angela Merkel als „erster weiblicher Regierungschefin Deutschlands“ sprach (Minute 10:56). Daraus folgt, dass alle anderen Regierungschefinnen nicht weiblich waren, wohl schon deshalb, weil es sie nicht gab. Wenn doch, dann können es nur männliche Regierungschefinnen gewesen sein. Dann bekämen wir demnächst wieder eine Regierungschefin, und die wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit männlich. Das Geschlecht einer Regierungschefin ist anscheinend komplexer als ich dachte. Deshalb wird auch sicher jede verstehen, dass für so etwas demnächst die Rundfunkgebühren erhöht werden.
Auch Robert Habeck scheint eine Vorliebe für weibliche Frauen zu haben. Bei Caren Miosga sagte er (Minute 31:30): „Wir haben ja wahrscheinlich zwei weibliche Spitzenkandidatinnen, nämlich Alice Weidel und Sahra Wagenknecht […]“. Das „Weibliche-Frauen-Virus“ scheint um sich zu greifen und dabei hoch ansteckend zu sein (a, b, c).
Vielleicht reift irgendwann auch unter Gendersprachlern die Erkenntnis, dass wir aus sprachökonomischen Gründen eine generische Form brauchen, um effizient kommunizieren zu können und uns nicht permanent gegenseitig der trivialsten Sache der Welt zu versichern, nämlich dass es Frauen und Männer gibt. Mir will partout nicht einleuchten, warum wir die weniger komplexe maskuline (nicht männliche!) Form zugunsten einer längeren femininen Form aufgeben sollten.
Ungeachtet dessen könnte man vielleicht einigen der oben Genannten mildernde Umstände zubilligen, denn sie könnten aus Versehen in ihre selbstgestellte Genusfalle gegangen sein. Die Falle besteht darin, dass das generische Maskulinum unbedingt vermieden werden soll. Deshalb darf es so etwas wie einen weiblichen Präsidenten keinesfalls geben. Der reinen Genderlehre folgend, muss dieser weibliche Präsident eine Präsidentin sein, mit femininem Genus und dem Artikel „die“ (im Nominativ). Die Alternative, nämlich ein maskulines Genus (der Präsident) für einen weiblichen Sexus zu verwenden, widerspricht dem Wesen der Genderei fundamental. Sobald man sich, um das generische Maskulinum zu umgehen, auf ein feminines Genus festgelegt hat, folgt daraus zwangsläufig die „Präsidentin“ (oder „Regierungschefin“ etc.). Wenn dann noch das weibliche Geschlecht der Person hervorgehoben werden soll, ist man unausweichlich bei „die (erste) weibliche Präsidentin“. Der Weg in die Genusfalle beginnt also bereits bei der Vermeidung des generischen Maskulinums.
Im Prinzip genauso verhält es sich bei ‚Angela Merkel als „erster weiblicher Regierungschefin“‘. Die movierte Form „-in“ ist auch hier die Folge der Vermeidung des generischen Maskulinums und führt mit dem Adjektiv „weiblich“ direkt zu obiger unsinnigen Aussage.
Mit dem Adjektiv „weiblich“ kann man nur Substantive beschreiben, die sowohl weibliche als auch männliche Individuen beinhalten, also Sammel- oder Oberbegriffe für beide Geschlechter darstellen. Ein solcher Sammelbegriff kann ein neutraler Ausdruck (z. B. „Lehrkraft“) oder eine generische Form sein, wobei sprachökonomisch am sinnvollsten das generische Maskulinum (z. B. „Mieter“) ist.
Korrekt muss der zitierte Satzteil unter Verwendung des generischen Maskulinums und bei Betonung des weiblichen Geschlechts also lauten: ‚Angela Merkel als „erstem weiblichen Regierungschef“‘. Das scheint den Gendersprechern überaus schwer zu fallen, denn mit der Schmähung und Verteufelung des generischen Maskulinums ist dies nicht vereinbar. Die Genusfalle, in der man sich befindet, haben sich die Gendersprecher aber selbst gestellt.
Die Nicht-Verwendung einer generischen Form (z. B. des generischen Maskulinums) bewirkt darüber hinaus auch eine inhaltlich andere Botschaft, als die man eigentlich sagen möchte: Die „erste weibliche Regierungschefin“ vergleicht die betreffende Regierungschefin nur mit anderen weiblichen Regierungschefs, nicht aber mit allen.
Frau Merkel selbst legte Wert darauf, als Bundeskanzlerin bezeichnet zu werden (Minute 16:55). Zu den deutschen Bundeskanzlern kann sie sich damit nicht zählen. Wie sie mag, dann wird es sie sicher freuen, wenn man sie als beste Bundeskanzlerin Deutschlands bezeichnet. Man könnte sie aber auch als schlechteste Bundeskanzlerin bezeichnen, beides ist richtig.
Es zeigt sich erneut: Für eine sinnvolle Kommunikation ist das generische Maskulinum unumgänglich, ersetzbar höchstens durch das generische Femininum, für dessen Verwendung gottlob kein gesellschaftlicher Konsens besteht, und wenn doch, dann im Elfenbeinturm des ÖRR.
Doch unsere Sprache gehört nicht nur einer elitären, medial einflussreichen und oft mit großer Entscheidungsbefugnis ausgestatteten Minderheit, sondern uns allen. Dass alle Umfragen zur Akzeptanz sogenannter gendersensibler Sprache ein eindeutiges Meinungsbild ergeben haben, wird auch dem ÖRR nicht entgangen sein.